Ergebnis
Die Bereitschaft zur gesellschaftlichen Eigeninitiative wird von den Bundesbürgern zunehmend skeptisch beurteilt. Aktuell stimmen lediglich 28 Prozent der Aussage zu, dass viele Menschen bereit sind, selbst aktiv zu werden, anstatt Probleme dem Staat zu überlassen. Im Vergleich zum Jahr 2009, als noch 40 Prozent dieser Ansicht waren, ist dies ein deutlicher Rückgang. Dieser offenbart eine eklatante Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung anderer und der Einschätzung der eigenen Person. Während das Vertrauen in die Initiative der Allgemeinheit sinkt, geben in parallel erhobenen Daten 90 Prozent der Befragten an, selbst Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Mehr als jeder Zweite ist sogar der Überzeugung, mehr Verantwortung zu tragen als seine Mitmenschen. Das Selbstbild („Ich tue viel“) steht somit im starken Kontrast zum Fremdbild („Die anderen tun wenig“).
Gründe
Ursächlich für diese Wahrnehmungslücke ist primär eine psychologische Verzerrung. Menschen neigen dazu, das eigene Verhalten wohlwollender und positiver zu bewerten als das Handeln Dritter. Das eigene Engagement ist präsent, während die Aktivitäten anderer oft unsichtbar bleiben oder als unzureichend empfunden werden. Verstärkt wird dieser Effekt durch evolutionäre und mediale Mechanismen. Das menschliche Gehirn ist darauf programmiert, Risiken, Probleme und negative Ereignisse stärker wahrzunehmen, da dies historisch überlebenswichtig war. In der heutigen Medienlandschaft führt dies dazu, dass Missstände und Skandale häufiger thematisiert werden als positive Beispiele von bürgerlichem Engagement. Wenn der Fokus primär auf negativen Schlagzeilen liegt, verfestigt sich der Eindruck, dass Gemeinsinn und Verantwortung in der Breite fehlen, selbst wenn die Realität differenzierter ist.
Prognose
Um den negativen Kreislauf aus Misstrauen und dem Ruf nach staatlichen Lösungen zu durchbrechen, ist zukünftig ein Perspektivwechsel notwendig. Das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft wächst nicht durch Appelle, sondern durch gelebte Realität und Sichtbarkeit. Es ist davon auszugehen, dass gemeinsame Erfahrungen und Begegnungen – etwa im Ehrenamt, in Vereinen oder der Nachbarschaft – an Bedeutung gewinnen werden, um das Bild vom „untätigen Anderen“ zu korrigieren. Wenn Erfolge geteilt und Eigeninitiative als lohnend und wirksam erlebt wird, steigt die Motivation des Einzelnen, sich als Teil einer verantwortungsvollen Gemeinschaft zu begreifen. Die Herausforderung der kommenden Jahre wird darin bestehen, diese positiven Narrative stärker in den Vordergrund zu rücken, um die Lücke zwischen Wahrnehmung und Realität zu schließen.