Der Generationenpakt – Das soziale Netz der Zukunft 

Forschung aktuell, 177

17. Dezember 2003

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Der Generationenpakt – Das soziale Netz der Zukunft

Das Ende des Wohlfahrtsstaates – ein neuer Generationenpakt?

Die Sicherung der sozialen Systeme kann nicht mehr länger nur eine Geldfrage sein. Der weitgehend ökonomisierte Demographie- und Nachhaltigkeitsfaktor muss um einen Sozialfaktor erweitert werden. Wer sich ernsthaft um die eigene Zukunft Gedanken macht, muss Altersvorsorge als Zukunftsvorsorge im Sinne von materieller und sozialer Sicherung verstehen. Erst das soziale Netz – insbesondere der Familie – garantiert einen Lastenausgleich mit Nachhaltigkeitswirkungen, die weit über das Jahr 2030 hinausreichen, weil die Generationen auch in Zukunft aufeinander angewiesen bleiben. Dies geht aus einer neuen Studie des B.A.T Freizeit-Forschungsinstituts hervor, die Bundesministerin Renate Schmidt (SPD) gemeinsam mit dem Wissenschaftlichen Leiter des Instituts, Prof. Dr. Horst W. Opaschowski, heute in Berlin vorstellte. 2000 Personen ab 14 Jahren wurden nach ihren gelebten Generationenbeziehungen gefragt, ihrem persönlichen Umgang miteinander, ihren regelmäßigen Kontakten und Besuchen sowie ihren Hilfeleistungen auf Gegenseitigkeit.
Die Forschungsstudie weist nach: Der Generationenvertrag traditioneller Prägung kann die sozialen Herausforderungen der Zukunft allein nicht lösen. „Über die materielle Absicherung hinaus erweist sich der Aufbau eines verlässlichen sozialen Netzes als wertbeständige Investition in die Zukunft. Der Verlust von Familie und Freunden lässt sich im Alter durch Geld nicht mehr ausgleichen“, so Professor Dr. Horst W. Opaschowski, der Autor der Studie „Der Generationenpakt“, die jetzt im Buchhandel erscheint (Primus Verlag).

Zukunftsvorsorge im 21. Jahrhundert.
Mehrere Standbeine schaffen

Eine verlässliche Altersversorgung gleicht einem stabilen Haus der Zukunftsvorsorge, das auf den drei Säulen Armutsvermeidung, Lebensstandardsicherung und Lebensqualitätssicherung steht. Keine Säule ist durch eine andere ersetzbar und austauschbar. Gemeint ist eine Zukunftsvorsorge nach dem Drei-Säulen-Modell mit gesetzlichen, privaten und sozialen Kapitaldeckungen, die zukunftsfähige Rücklagen und nicht nur leere Kassen hinterlassen. Das neue Haus der Zukunftsvorsorge steht stabil auf drei Säulen: Die erste Säule ist erarbeitet und verdient (= Gesetzliche Grundversorgung), die zweite Säule erspart und bezahlt (= Private Zusatzversorgung) und die dritte Säule ist erlebt und gelebt (= Soziale Altersversorgung). In diesem Drei-Säulen-Gebäude auf materieller und sozialer Grundlage geht es um mehr als nur um Geld. Der verengten ökonomischen Sichtweise wird eine ausgeglichene Generationenbilanz gegenübergestellt, die auch humane und soziale Züge trägt. Professor Opaschowski: „Die Familie erweist sich dabei als beständigste und nachhaltigste Alterssicherung. Sie gleicht mangelndes Geldkapital durch Sozialkapital aus – und das ein Leben lang.“
Fast jeder zweite Bundesbürger sichert sich inzwischen durch private Lebensversicherungen (1997: 45% – 2003: 49%) ab. Jeweils knapp ein Drittel der Bevölkerung vertraut auf die Rücklagen des eigenen Sparbuchs (1997: 29% – 2003: 31%) und auf die Wertbeständigkeit von Immobilien, die in den letzten Jahren deutlich an Attraktivität gewonnen haben (1997: 20% – 2003: 29%). Auch der Bausparvertrag bleibt eine wichtige materielle Vorsorgemaßnahme (1997: 21% – 2003: 21%) – für die jüngere Generation verständlicherweise mehr (23%) als etwa für die 50plus-Generation (9%). Einen relativ geringen Stellenwert nimmt der Erwerb von Aktien und Wertpapieren ein (1997: 7% – 2003: 11%). Lediglich die Bezieher von Haushaltsnettoeinkommen mit über 2.500 Euro nutzen die Geldanlage mehr (21%).
Als umfangreichste und beständigste Zukunftsvorsorge aber wird die soziale Altersversorgung eingestuft, weil sie Lebensqualität bis ins hohe Alter sichern hilft. Dazu gehört in erster Linie die Erhaltung familiärer Bindungen (1997: 51% – 2003: 56%), worauf die Frauen deutlich mehr Wert legen (61%) als die Männer (51%). An sozialer Bedeutung deutlich hinzugewonnen hat in den letzten Jahren der Freundeskreis (1997: 50% – 2003: 56%). Die Pflege des Freundeskreises wird – neben der Familie – als zweite wichtige Zukunftsinvestition angesehen – in der Hoffnung, dass sich die Kontaktpflege im Alter vielleicht sogar „auszahlt“ bzw. „rechnet“. Eine neue Zukunftschance zeichnet sich auch für die Vereine ab. Etwa jeder sechste Bundesbürger (1997: 16% – 2003: 16%) betrachtet den Vereinsbeitritt als eine weitere Variante der persönlichen Zukunftsvorsorge.

Gelebter Zusammenhalt.
Generationen helfen sich gegenseitig

Der traditionelle Generationenvertrag wurde bisher zu einseitig als öffentliche Transferleistung an die Älteren verstanden. Er ließ die Leistungen und Gegenleistungen der Generationen untereinander unberücksichtigt – von der Enkelkinderbetreuung bis zur Altenpflege. Viele Urteile und Vorurteile über die Generationenbeziehungen zwischen Jung und Alt (z.B. „Generationenkonflikt“, „Krieg der Generationen“) sind nicht länger haltbar:
Mit dem Klischee „Viele Alte verprassen die Erbschaft ihrer Kinder und Enkel“ können 94 Prozent der Bevölkerung überhaupt nichts anfangen und lehnen es auch schlichtweg ab. Jung und Alt sind sich hier weitgehend einig.
Eine deutliche Ablehnung erfährt auch die Aussage: „Die Alten leben auf Kosten der Jungen“ – für 94 Prozent der Bundesbürger eine Behauptung ohne Basis.
„Die These von den Alten als Zukunftsdieben verweist die Bevölkerung deutlich dort hin, wo sie hingehört – in das Reich der Märchen und Legenden“, so Professor Opaschowski. Für dramatisierende Darstellungen sieht die Bevölkerung bisher keinen Anlass. Denn: Der Generationenpakt auf familiärer Basis funktioniert. Jung und Alt bescheinigen sich gegenseitig ein hohes Verantwortungsbewusstsein.

Was die jüngere Generation leistet

Geht man von einer groben Aufteilung der Bevölkerung in die jüngere (bis 29 Jahre), die mittlere (30 bis 64 Jahre) und die ältere Generation (65 Jahre und mehr) aus und fragt nach gegenseitigen Hilfeleistungen materieller und immaterieller Art, so ist man überrascht vom Umfang und der Intensität praktizierter Alltagssolidarität zwischen den Generationen. Die Hilfeleistungen fangen früh an und hören eigentlich nie auf.
Die B.A.T Repräsentativbefragung weist nach: Sieben Prozent der jüngeren Generation im Alter bis zu 29 Jahren unterstützen ihre Eltern regelmäßig durch Geld. Hinzu kommen nichtmonetäre Hilfeleistungen durch Sachmittel (8%). Und fast ein Viertel (24%) der unter 29-Jährigen leistet regelmäßig persönliche Hilfen (Haushaltsarbeiten, Besorgungen, Betreuung).

Was die mittlere Generation leistet

33 Prozent der mittleren Altersgruppen unterstützen ihre Kinder, auch wenn sie nicht mehr bei den Eltern wohnen, regelmäßig durch Geld. Auch Sachmittel fließen in nicht unerheblichem Umfang (26%). Und natürlich bieten sie als familiale Solidargemeinschaft zusätzliche persönliche Hilfen (23%) bei der Erledigung alltäglicher Aufgaben in Haushalt und Familie an. Gleichzeitig stehen sie ihren Eltern für persönliche Unterstützungen (17%) zur Verfügung. Die mittlere Generation ist als sogenannte „Sandwich-Generation“ geradezu doppelt gefordert – von oben (= durch die Eltern) und von unten (= durch die Kinder).

Was die ältere Generation leistet

In großem Umfang fließen Ströme an Geld, Sachmitteln und persönlichen Hilfen von den Älteren zu den Jüngeren. Die Älteren leisten erhebliche Transfers an ihre Kinder: Geld (28%), Sachmittel (20%) und persönliche Hilfen (20%). „Die Schreckensszenarien, in denen die Jungen den Generationenvertrag einfach kündigen und die Alten zu sozial Obdachlosen ohne Zufluchtsort machen, entbehren jeder Grundlage“, so Institutsleiter Opaschowski. „Die Alten sparen – für die Jungen.“ Sie leben nicht auf Kosten der Jungen, sondern leisten im Laufe ihres Lebens mehrfache Beiträge zum Erhalt des Generationenvertrags. Über 65-jäh-rige Eltern leisten sieben so viele Geldzahlungen (28%) an ihre erwachsenen Kinder, als sie von diesen zurückerhalten (4%). Dafür ist das Verhältnis im Bereich der persönlichen Hilfen relativ ausgeglichen (Ältere: 20% – Jüngere: 17%).

Soziale Altersvorsorge.
Familie und Freunde als wertbeständige Zukunftsinvestition

Die Erhaltung familiärer Bindungen ist zur wichtigsten Vorsorgemaßnahme für das Alter geworden und hat fast den Charakter einer Lebensversicherung. Zur Familie gesellt sich als zweite soziale Zukunftsinvestition für das Alter die Pflege des Freundeskreises. Freundeskreis und Familie werden mittlerweile gleich hoch bewertet. Die systematische Pflege der Kontakte zu Familie und Freunden sowie die Fähigkeit, sich selber zu beschäftigen, werden die wichtigsten mentalen und sozialen Vorsorgemaßnahmen für das Alter sein. Opaschowski: „Es wird daher unerlässlich sein, das natürliche Hilfspotential zu aktivieren, damit Freunde als freiwillige Helfer gewonnen werden können. Andernfalls bleibt man allein bzw. alleingelassen.“
Vom Generationenpakt auf privater Basis profitieren primär Generationen mit familialen Netzwerken. Alle anderen (insbesondere Singles und Kinderlose) müssen schauen, dass sie im Laufe ihres Lebens verlässliche nichtverwandte soziale Netze knüpfen. Näher und ferner stehende Menschen müssen ihr Leben begleiten: sogenannte soziale Konvois im außerfamilialen Bereich. „Gute Freunde“ reichen dazu allein aber nicht aus, weil sie meist gleichaltrig sind und ihre Zahl im Alter zurückgeht. Soziale Konvois sind nur hilfreich, wenn sie generationsübergreifend angelegt sind. Trotz solcher sozialer Neuerungen gibt es eigentlich nur eine Konstante im Leben: das ist die Familie als Generationenpakt.

Familienpolitik als Mehr-Generationenpolitik.
Die Neue Soziale Aufgabe

Die Politik muss für Rahmenbedingungen sorgen, bei denen die Belastungen der Familien im Zeitbudget und in den finanziellen und materiellen Ressourcen nicht so hoch sein dürfen, dass sie die junge Generation von der Familiengründung abhalten. Wie vielfältig auch immer die Lebensformen der Zukunft aussehen mögen, eine wirksame Familienpolitik muss eine Generationenpolitik sein, die vom Grundsatz des Kindeswohles geleitet wird. Versäumnisse sind irreparabel. Schon heute ist absehbar: Im Jahr 2040 wird jeder dritte Deutsche keine Kinder und noch weniger werden Enkel haben. „Der Generationenkrieg fällt aus. Eher bricht eine lange Phase des Generationenfriedens an“, so Professor Opaschowski. „Allerdings unter einer Voraussetzung: Eine Zukunftspolitik für Generationenbeziehungen, die die Lebensqualität von Kindern, Jugendlichen, Frauen, Familien und Senioren vorrangig fördert, muss in das Zentrum politischen Handelns rücken.“ Im ganz persönlichen Umgang miteinander vertrauen die Generationen auf die Nestwärme der Familie und die Wirksamkeit von Netzwerken und sozialen Konvois wie z.B. Freunden als verlässlichen Begleitern des Lebens. Gelungenes Leben heißt in Zukunft: Familie haben und/oder sozial vernetzt sein.

Die Entdeckung des gemeinsamen Lebens.
Der Generationenkonflikt wird entschärft

Die Ausdehnung der gemeinsamen Lebenszeit ermöglicht eine neue Solidarität zwischen den Generationen. Der demographische Wandel muss also nicht zu einer Gefährdung der Generationenbeziehungen führen. Solange insbesondere die mittlere Generation durch Steuer- und Rentenzahlungen ihren gesellschaftlichen Beitrag leistet und zugleich im familiären Bereich Erziehungs-, Betreuungs- und Pflegeleistungen erbringt, lebt der gesetzliche Generationenvertrag als privater Generationenpakt weiter, ohne dass es zu größeren Konflikten kommt. Viele Anzeichen sprechen dafür, dass mit der gelebten Solidarität zwischen den Generationen eine neue Ära der Verantwortung beginnt.
Die Familiengröße wird in Zukunft sicher kleiner, aber die (Mehr-) Generationenfamilie im Hinblick auf die gleichzeitige Präsenz verschiedener Generationen nimmt an Bedeutung zu. Vieles deutet auf eine verstärkte soziale Solidarität zwischen den Generationen hin. Die Älteren in der Familie intensivieren dabei aktiv den Familienzusammenhalt: Selbst 80-Jährige halten heute ihre Familien noch zusammen und sorgen so für eine rituelle Solidarität, die Bestand hat. Opaschowski: „Vieles deutet darauf hin, dass die heutige Enkel-Generation mit zunehmendem Alter eine Bedeutung erlangt, die teilweise über die des Freundeskreises hinausgeht.“

Aufeinander angewiesen bleiben.
Die Basis eines neuen Generationenpakts

Die Forschungsstudie weist nach: Neben dem alten Generationenvertrag entwickelt sich ein neuer Generationenpakt: die gelebte Solidarität zwischen den Generationen. Es handelt sich um eine auf familialen Werten basierende Übereinkunft, um einen natürlichen Austausch von Lebensressourcen und Unterstützungsleistungen. Dieser Generationenpakt lebt von der Alltagssolidarität, von gewachsenen sozialen Beziehungen und Bindungen – und nicht von auferlegten gesetzlichen Verpflichtungen.
Die bisherigen Szenarien über die sozialen Folgen der demographischen Entwicklung „krankten“ daran, dass sie den Menschen lediglich als Kostenfaktor sahen: Wachsende Lasten = finanzielle Grenzen. Die ausschließlich ökonomische Betrachtungsweise, bei der Wirtschafts- und Finanzexperten den Ton angeben, verliert die soziale Dimension aus dem Blick, den natürlichen Zusammenhalt zwischen den Menschen und die Solidarität zwischen den Generationen. Der Generationenpakt als familiärer Zusammenhalt und gelebter Gemeinsinn ist der Grundbaustein für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.
Bei der Konzentration auf die Familie müssen die materiellen Belange des Lebens keineswegs aus dem Blick geraten. Das Statistische Bundesamt weist nach, dass die wichtigste Einkommensquelle der Deutschen – neben dem Arbeitseinkommen (40%) – nicht die Rente oder Pension (23%), sondern die Familie (30%) ist, also die Angehörigen, die Ehepartner und die Eltern. Die Familie erbringt also eine doppelte Vorsorgeleistung – eine Kapitalvorsorge und eine Sozialvorsorge. Wenn das Grundgesetz in Artikel 6 die Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt, so findet dies in der doppelten Vorsorgeleistung der Familie seine Begründung. Versicherungsgesellschaften können das nicht leisten und Freundeskreise wollen das in der Regel auch nicht. So gesehen erweist sich die Familienförderung als die beste Zukunftsvorsorge der Gesellschaft.
Daraus folgt: In Zukunft kann sich das soziale System grundlegend verändern. Die Familie rückt wieder mehr in das Zentrum des Lebens. Und die Generationen helfen sich selber. Während sich die Gesetzliche Rente mehr zu einer Art Zusatzversicherung zurückentwickelt, nimmt die Familie als verlässliche Vollversicherung ihren Platz ein und macht aus dem staatlichen Generationenvertrag einen privaten Generationenpakt.

Die B.A.T Forschungsstudie „Der Generationenpakt. Das soziale Netz der Zukunft“ von Horst W. Opaschowski ist ab sofort im Buchhandel (Primus Verlag Darmstadt), ISBN 3-89678-487-0 für € 19,80 erhältlich.

siehe auch Verzeichnis aller Publikationen

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

Tel. 040/4151-2264
Fax 040/4151-2091
guels@zukunftsfragen.de

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