Generation @
Surfer. Zapper. Lebenskünstler.
Forschungsinstitut der British American Tobacco veröffentlicht umfassende Studie über das Leben im Informationszeitalter
Zur Jahrtausendwende entläßt die erste Medienrevolution ihre Kinder. Noch nie hat es eine Generation gegeben, die von Kindheit an mit elektronischen Medien aufgewachsen und von ihnen in ihrem Lebensgefühl so stark geprägt wurde wie die heute 14- bis 29jährigen. Inmitten von TV, PC, E-Mail und Internet kündigt sich im Zeichen von @ (sprich: ett) eine neue Generation an: die "Generation @". Sie surft in 90 Sekunden um die Welt, telefoniert in allen Lebenslagen, zappt wie im Fernsehen durch das Leben, steht ständig unter Strom und geht den Mitmenschen nicht selten auf die Nerven. Auf diesen Nenner lassen sich die Ergebnisse umfangreicher Repräsentativuntersuchungen des Freizeit-Forschungsinstituts der British American Tobacco bringen. 3.000 Personen ab 14 Jahren wurden im Zeitraum von September 1998 bis April 1999 nach ihren Lebens-, Konsum- und Mediengewohnheiten befragt.
Generation @:
"Immer unter Strom" – das Heim als Boxenstop
Bill Gates geht in seiner neuesten Buchveröffentlichung "Business @" der Frage nach, welche Auswirkungen die Informationstechnologie auf die Geschäftswelt hat. Prof. Dr. Horst W. Opaschowski, der Wissenschaftliche Leiter des Hamburger Instituts und Autor der neuen Zukunftsstudie, fragt hingegen: Wie sieht das Leben im Informationszeitalter aus? "Generation @ – das ist die Generation, die heute schon mit dem Computer spielt und lernt und eine neue Art zu leben praktiziert", so eine der Thesen Opaschowskis. "Ein elektronisch geprägter Lebensstil zeichnet sich ab, der den Alltag so revolutionär verändern kann wie vor hundert Jahren die Erfindung und Verbreitung der Elektrizität." Aus den repäsentativen Befragungsergebnissen des Freizeit-Forschungsinstituts der British American Tobacco geht hervor, daß die Generation der heute 14- bis 29jährigen aus Angst, im Leben etwas zu verpassen, rastlos nach der Erlebnisformel "Leben minus Langeweile" lebt, auch wenn dies mitunter einem Leben aus zweiter Hand gleicht.
Eine deutliche Mehrheit der jungen Leute (57%) ist inzwischen der Meinung, daß "Werbung, Medien und Computerkultur zunehmend unser Leben inszenieren und unseren Lebensstil prägen." Auf der Bühne des Lebens agieren viele Jugendliche wie inszenierte Lebenskünstler: Sie glauben, zu leben und werden gelebt. Sie machen sich selbst zu gehetzten Akteuren, die das Gefühl haben, sie kämen dauernd zu spät.
Die 14- bis 29jährigen wollen alles sehen, hören und erleben und vor allem im Leben nichts verpassen. Sie nehmen sich fast genausoviel Zeit für Fernsehen (89%) und Radiohören (70%) wie die übrige Bevölkerung auch (TV: 92% – Radio: 72%): Zusätzlich und oft zeitgleich nutzen sie andere Medien: Sie sehen deutlich mehr Videofilme (44% – Gesamtbevölkerung: 24%) und nehmen sich auch mehr Zeit für das Hören von CD’s (63% – Gesamtbevölkerung: 38%). Jeder vierte Jugendliche beschäftigt sich zudem mit dem Computer (27% – Gesamtbevölkerung: 14%) und jeder fünfte findet an Videospielen Gefallen (20% – Gesamtbevölkerung: 7%). Und dabei bleibt selbst für das Bücherlesen noch Zeit (35% – Gesamtbevölkerung: 34%). Die Frage "Was zuerst?" oder "Wieviel wovon?" beantwortet die gestreßte junge Generation in ihrer Zeitnot mit Zeitmanagement: In genausoviel Zeit werden mehr Aktivitäten "hineingepackt" und untergebracht, schnell ausgeübt oder zeitgleich erledigt.
Die jetzt von British American Tobacco veröffentlichte Studie weist nach: Der mediale Verdrängungswettbewerb "PC statt TV" findet bei der "Generation @" nicht statt. Das Netz ist für sie wie ein zusätzlicher neuer Medienkanal: Zu den TV-Ereignissen gesellen sich die Web-Ereignisse. Eine Abkehr vom Fernsehen ist nicht erkennbar.
Aus den Kindern von Karl Marx und Coca Cola sind mittlerweile die Kinder von Walt Disney und Bill Gates geworden. Aufgewachsen in einer Kultur zwischen Mickey Mouse und Microsoft, VIVA und MTV sind zwei von fünf Jugendlichen (41%) davon überzeugt, daß die Menschen bald "durch ihr Leben zappen wie heute schon durch die Fernsehkanäle." Im künftigen Informationszeitalter werden sie überall in der Welt, aber nirgendwo zu Hause sein. Opaschowski: "Das Heim wird zum Boxenstop, die Welt zum globalen Dorf. Das Surfen um die Welt kann am Ende heimatlos machen."
Virtuelle Kontakte:
Beziehungen ohne Bestand
Die sozialen Folgen sind schon jetzt erkennbar. Die "Generation @" driftet durch ihr Dasein, lebt temporär und kommt kaum zur Ruhe. Das Schlüsselwort zur Jahrtausendwende heißt Kommunikation. Aber in Wirklichkeit hastet die junge Generation von Kommunikation zu Kommunikation, knüpft mehr Kontakte, als daß sie miteinander redet. Die neuen Informationstechnologien sorgen für eine fast inflationäre Verbreitung von Kontakten zwischen E-Mail, Anrufbeantworter und Faxgerät, die auch die Intensität der ganz persönlichen Beziehungen in Familie und Freundeskreis beeinflussen. "Die Generation @ baut sich neue elektronische Beziehungen im Labyrinth von Chat-Boxen und E-Mails auf – freundschaftliche Netze, die frei von Verpflichtungen sind", so Professor Opaschowski.
Doch zwei von fünf Jugendlichen (40%) gestehen selbstkritisch ein: "Die Kontakte im elektronischen Netz bleiben oberflächlich und können beständige Beziehungen nicht ersetzen". Per Internet kann sie sich die Schwächen der Kontaktpartner "besser vom Hals halten". Gemeinsamkeit wird durch temporäre Allianzen bzw. pragmatische Bindungen auf Zeit ersetzt.
"Heiraten – nein danke?"
Trendwende ist möglich
Die gesellschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre spricht zunächst nicht für eine Trendwende zur Jahrtausendwende: Immer weniger Ehen, immer weniger Kinder, immer weniger Familien in Deutschland. Kehrt sich diese Entwicklung bald um? Im Zeitvergleich der achtziger und neunziger Jahre deutet sich erstmals eine Trendwende an.
Ein Jahrzehnt lang gebärdeten sich die jungen Leute im Alter von 14 bis 29 Jahren wie "Hegoisten" – waren also Hedonisten und Egoisten zugleich. Sie wollten frei und unabhängig sein und viel Zeit "für mich" haben und einfach glücklich leben, ohne an Heiraten und Familie denken zu müssen. Die Überzeugung machte sich breit: "Freunde, Sport, Hobbies und Urlaubsreisen sind mir wichtiger als Heiraten und eine Familie gründen" (1985: 46% – 1988: 49% – 1994: 54%). Kurz vor der Jahrtausendwende zeichnet sich in Ansätzen ein Stimmungsumschwung ab. Eine Trendwende ist möglich, auch wenn gut jeder Zweite (1999: 53%) nach wie vor für den Lebensgenuß ohne Rücksicht auf Familie votiert. Skepsis bleibt sicher angebracht, weil sich ein solch grundlegender Einstellungswandel nur langsam entwickeln kann und nicht plötzlich von heute auf morgen ergibt. Erste Anzeichen deuten darauf hin, daß die Devise der achtziger Jahre "Konsum statt Kind" von der "Generation @" nicht mehr ungefragt übernommen wird.
Multiple Persönlichkeiten:
Sich anders geben, als man wirklich ist
Die "Generation @" lebt in der neuen Computerwelt. Sie gewöhnt sich daran, auch simulierte Lebenswelten auszuprobieren. Insbesondere die Internet-User haben Spaß am Rollenspiel und Rollenwechsel. Viele Jugendliche geben sich in Chatrooms älter als sie wirklich sind. Das Internet wird zur Schau-Bühne, auf der Jugendliche ebenso spielen wie probeleben können. Knapp ein Drittel der jungen Generation vertritt die Auffassung: "Im Internet kann man selbst eine Rolle spielen" (31%), also Persönlichkeits-Typen verkörpern, ohne sie dauerhaft leben zu müssen.
"Generation @" ist die Vision der nächsten Generation, wie sie heute schon im Lebensstil der 14- bis 29jährigen erkennbar ist. Alles steht zur freien Auswahl. Wenn aber alles beliebig erscheint, dann muß nach Meinung etwa jedes dritten Jugendlichen (31%) "jeder einzelne sein Lebenskonzept selbst basteln und Lebenssinn suchen." Das Lebenskonzept steht zur freien Disposition: Der Lebenssinn wird individualisiert, weil es an sicheren Orientierungen und gültigen Wertmaßstäben mangelt. Die Zukunft gehört auch individuellen Bastelexistenzen.
"Just do it":
Spontane Hilfsbereitschaft, aber keine längerfristigen Verpflichtungen
Der von Tempo und Beschleunigung geprägte Lebensrhythmus wirkt sich auch auf das soziale Verhalten aus. Eine mit Informationsflut und Sinnesüberreizung aufgewachsene Generation neigt zunehmend dazu, alles auszublenden, was für ihre persönlichen Ziele nicht von Bedeutung ist. Sie hat vielfach weder die Zeit noch die Geduld dazu, sich um Menschen zu kümmern, die in ihrem Leben keine zentrale Rolle spielen. Auch soziales Engagement muß sich bei der Jugend die Frage gefallen lassen: Was bringt es mir?
Professor Opaschowski: "In Zukunft droht kein soziales Analphabetentum, eher eine spontane Hilfsbereitschaft, bei der die Helfer das Warum, Wofür und Wielange ihres Engagements selbst bestimmen, statt sich in die Pflicht nehmen zu lassen." Wer also die jüngere Generation mehr für die Übernahme ehrenamtlicher Aufgaben gewinnen will, muß in Ansprache und Werbung andere Akzente setzen und sich auf "ihre" Bedingungen einlassen. So signalisieren die 14-bis 29jährigen durchaus Hilfsbereitschaft und nennen auch "gute Gründe" für eine unbezahlte freiwillige Mitarbeit in sozialen Organisationen: Sie wollen dabei das Gefühl einer "wichtigen Lebensaufgabe" (36%) haben und in der Überzeugung helfen, wirklich "gebraucht zu werden" (36%). Was sie allerdings noch mehr zu sozialem Engagement motiviert, ist die damit verbundene Chance, "Freunde zu gewinnen" (42%).
Die "Generation @" setzt Zeichen für eine neue Kultur des Helfens nach der Jahrtausendwende: Sie will helfen – freiwillig, selbstbestimmt und aus Freude. Helfen aus Spaß, nicht Helfen aus Pflicht. Dem vielkritisierten Bild der "Null-Bock"-Generation steht ein anderes Bild der "Just-do-it"-Generation gegenüber, das für die Zukunft hoffen läßt.
siehe auch Verzeichnis aller Publikationen