„Staufieber“: Das neue Freizeitleiden der deutschen Autofahrer
Über 11 Millionen Bundesbürger: „Ein bißchen Chaos darf ruhig sein“
Wenn nichts mehr läuft und der Wochenend- und Urlaubsverkehr zum Stehen kommt, bricht bei Millionen von deutschen Autofahrern das „Staufieber“ aus: Die einen reagieren nervös (32 % der Bundesbürger) oder aggressiv (18 %), fühlen sich plötzlich unwohl (16 %), andere fiebern dem Stau geradezu entgegen. Wie eine neue Repräsentativumfrage des BAT Freizeit Forschungsinstituts bei 2.483 Personen ab 18 Jahren in West- und Ostdeutschland ergibt, scheint die (un)heimliche „Lust am Stau“ keine Legende zu sein – es gibt sie wirklich. Bereits jeder fünfte Deutsche (19 %) sieht einem Verkehrsstau bei Wochenend- und Urlaubsfahrt geradezu genussvoll entgegen. „Ein bißchen Chaos darf ruhig sein“ sagen über 11 Millionen Bundesbürger.
Die meisten Autokilometer werden heute am Wochenende und im Urlaub zurückgelegt. Tendenz weiter steigend. Alle Verkehrsprognosen seit den 60er Jahren haben die Entwicklung der Freizeitmobilität unterschätzt. Mittlerweile gehört der Wochenend- und Urlaubsstau für immer mehr Autofahrer ganz selbstverständlich zum motorisierten Freizeiterleben dazu. „Wenn das Fahrzeug in der Freizeit zum Stehzeug wird, sind die Autofahrer hin- und hergerissen“, so Prof. Dr. Horst W. Opaschowski, der Leiter des BAT Instituts. „Die einen fiebern vor Wut, die anderen vor Erregung.“ Die Fahrt ins Grüne oder Blaue spaltet die deutsche Autofahrerschaft in zwei Lager: Die meisten leiden regelrecht unter der Beeinträchtigung ihres Freizeitvergnügens. Nicht wenige aber machen sich einen Spaß daraus, stillen ihren Erlebnishunger bis hin zu fast masochistischen Reaktionen: „Wenn ich erschöpft und erschlagen zurückkomme, fühle ich mich erst richtig wohl“.
Im Verkehrsstau am Wochenende spiegeln sich auch Geschlechterkonflikte wider. Während beinahe jede fünfte Autofahrerin „Platzangst und Panikgefühle“ bekommt und über „Kopfschmerzen, Atemnot und Schweißausbrüche“ klagt, reagieren die männlichen Autofahrer relativ cool auf das „bißchen Chaos“.
Auffallende Unterschiede sind zwischen ost- und westdeutschen Autofahrern feststellbar. Für die Ostdeutschen hat das Auto einen deutlich höheren Erlebniswert. So gewinnt ein Viertel aller ostdeutschen Autofahrer (27 % – West 16 %) auch einem Verkehrsstau positive Seiten ab. Das Chaos-Fieber ist bei Autofahrern aus Brandenburg (30 %) doppelt so hoch wie bei den Nordrhein-Westfalen (15 %), bei den Bewohnern aus Sachsen-Anhalt (34 %) gar dreimal so hoch wie bei den Bayern (11 %). Und jeder achte Ostdeutsche (13 % – West 9 %) ist beinahe froh, daß er den Stau erleben darf: „Wo viel los ist, erlebt man auch viel“. Anders als im Berufsverkehr spielt der Zeitdruck im Freizeitverkehr offensichtlich eine geringere, der Erlebniswert eine umso größere Rolle.
Technische Daten der Befragung
Anzahl und Repräsentanz der Befragten: 2.483 Personen ab 18 Jahren in West- und Ostdeutschland
Zeitraum der Befragung: 19. März bis 3. April 1992