Total digital, völlig normal? 

Forschung aktuell, 140

19. Mai 1998

(inkl. Grafiken wenn vorhanden)

Total digital, völlig normal?

Wie wir im künftigen Kommunikationszeitalter leben wollen

Die Angst der Bevölkerungvor einer total vernetzten Welt geht zurück. Gleichzeitig nimmt das Interesse an den Informations- und Kommunikationstechnologien von morgen zu. So würde fast jeder zweite Bundesbürger (46%) in Zukunft Behördengänge durch Online-Dienste ersetzen. Gut ein Drittel der Bevölkerung wünscht sich aktuelle Arbeitsplatzangebote per PC (37%). Und fast jeder vierte Bundesbürger (24%) möchte sich gern von zu Hause aus an Diskussionen mit Politikern per Internet beteiligen. Dies geht aus einer aktuellen Repräsentativerhebung des Freizeit-Forschungsinstituts der British American Tobacco hervor, in der 3.000 Personen ab 14 Jahren nach ihren multimedialen Interessen befragt wurden.
"Ein neues Kommunikationszeitalter beginnt", so Institutsleiter Prof. Dr. Horst W. Opaschowski. "Die Telekommunikation kann unser gesamtes Alltagsleben verändern." Multimedia und Internet werden im Privat- und Berufsleben einen immer größeren Raum einnehmen.

Neue Tele-Dienste von Banken und Behörden

Der Einsatz von Multimedia in der öffentlichen Verwaltung könnte in Zukunft auch das Verhältnis von Behörden und Bürgern deutlich entspannen helfen: Weniger Wartezeiten, kaum noch Warteschlangen und keine knapp bemessenen Öffnungszeiten mehr – auch ein Grund dafür, warum sich Berufstätige (57%) an behördlichen Telediensten besonders interessiert zeigen. Die multimedialen Zukunftsträume der Bevölkerung erscheinen fast grenzenlos: Wird es in Zukunft virtuelle Ortsvereine, Online-Wahlkreise oder gar elektronische Stimmabgaben bei den Wahlen geben? Werden sich Politiker elektronischen Diskussionen stellen müssen? An den unkonventionellen Politiker-Dialogen sind vor allem die Höhergebildeten interessiert – fast jeder zweite Hochschul- und Universitätsabsolvent (46%), dagegen nur 15 Prozent der Befragten mit Hauptschul- und Volksschulabschluß.
Die Nutzung eines Kommunikationsnetzes wie zum Beispiel das Internet per Computer oder Videotext über das Fernsehgerät bietet Zugang zu Dienstleistungen neuer Art: Tele-Shopping, Tele-Bankingund Tele-Learning sind in Zukunft keine Utopien mehr, auch wenn sie heute noch immer mehr Wunsch als Wirklichkeit sind.
Nur drei Prozent der Bundesbürger machen derzeit regelmäßig von den Möglichkeiten des Einkaufens am Bildschirm Gebrauch. Ein Drittel der Bevölkerung (33%) aber würde gerne direkt am Fernsehschirm oder am Computer Informationen zu Produkten oder Dienstleistungen erhalten und gegebenenfalls auch kaufen und in Anspruch nehmen. Insbesondere Bevölkerungsgruppen, die in Familie und Beruf in besonderer Weise beansprucht sind, erhoffen sich von dem elektronischen Shopping-Service einen persönlichen Zeitgewinn. Dazu Professor Opaschowski: "Tele-Shopping wird allerdings auch in Zukunft keine Konkurrenz zum traditionellen Einkaufsbummel sein. Elektronische Bestell- und Einkaufsdienste ergänzen, aber ersetzen nicht das Flanieren der Erlebniskonsumenten in den Shopping-Centern. Die Menschen wollen auch weiterhin mit allen Sinnen konsumieren."

Mehr Lebensqualität durch mehr Servicequalität

Die Verbraucher erhoffen sich von der Telekommunikation ein bequemeres Leben, zum Beispiel durch die elektronische Reisebuchung von zu Hause aus. 37 Prozent der Befragten zeigen sich daran interessiert. Für Reisebüros wird es dennoch auch in Zukunft genug zu tun geben. Je mehr Direktbuchungen in Zukunft über das Internet erfolgen, desto mehr zusätzliche Dienstleistungen (zum Beispiel Fahrdienst zum Flughafen, Homesitting, Haustierbetreuung, Reservierungen und Eintrittskarten für spezielle Veranstaltungen, Ereignisse oder Sehenswürdigkeiten) können die Angebotspalette der Reisebüros ergänzen.
Inhalt und Qualität von Dienstleistungen verändern sich. Auch wenn zum Beispiel Tele-Banking für jeden dritten Verbraucher eine Alternative ist (30%), werden in Zukunft spezielle Servicekonzepte weiterhin erforderlich sein, um den direkten und persönlichen Kontakt zu den Kunden nicht zu verlieren. Banken als Beratungszentren können durch die Ausbreitung von Direct- und Homebanking eher noch wichtiger werden.

E-Mail als Heim(liche)-Revolution?
Von der Unmöglichkeit, etwas zu verpassen

Die Postkarten-Ära geht zu Ende. Immer weniger Briefe werden noch mit der Hand geschrieben. E-Mails, elektronische Briefe, revolutionieren – wie Telefon und Fax auch – den Kommunikationsstil im Alltag. Die Allgegenwart des neuen Mediums E-Mail eröffnet ein neues Kommunikationszeitalter: Jeder kann mit jedem an jedem Ort und zu jeder Zeit kommunizieren. Sechs Prozent der Bevölkerung erhalten und verschicken bereits regelmäßig E-Mails. Vor allem junge Leute im Alter von 18 bis 24 Jahren (13%) können sich für das elektronische Briefeschreiben begeistern. Viermal so viel (51%) aber würden sich gerne an dem neuen Kommunikationssystem aktiv beteiligen. Die permanente Erreichbarkeit in Verbindung mit der Gewißheit, keine Mitteilung oder Botschaft zu verpassen, übt auf die junge Generation einen besonderen Reiz aus. Opaschowski: "Das Leben mit dem großen ‚E‘ sorgt für Tempo, Spaß und Mobilität. Dies entspricht ganz dem Lebensgefühl der jungen Generation von heute."

Für Sportsendungen extra bezahlen?
"Nein, danke!

Die kostenlose Übertragung von Sportveranstaltungen im Fernsehen gilt den meisten Bundesbürgern fast als Grundrecht, das nicht angetastet werden darf. Und alle Überlegungen, für exklusive Veranstaltungen (zum Beispiel Bundesliga live, WM) Extragebühren zu erheben, stoßen auf den entschiedenen Widerstand der meisten Zuschauer. Lediglich 23 Prozent der Bevölkerung zeigen sich an exklusiven TV-Sendungen im Bezahlfernsehen (Pay-TV) interessiert. Fast drei Viertel (71%) aber lehnen ein solches Angebot ab. Dies trifft vor allem für die ostdeutsche Bevölkerung zu (80% – Westdeutsche: 69%).
Die "Schöne Neue Medienwelt" von morgen kann das Leben sicher angenehmer und erlebnisreicher gestalten helfen, aber auch zu zusätzlichen zeitlichen und finanziellen Belastungen führen. Opaschowski: "Die Angebotsvielfalt wird viele Menschen in Geld- und Zeitnot geraten lassen. "Die permanent gestellte Frage ‚Was zuerst?‘ oder ‚Wieviel wovon?‘ läßt die Menschen immer weniger zur Ruhe kommen. Internet-User können auf diese Weise schnell in die Zeitfalle der Informationsgesellschaft geraten. Vielleicht trifft für die multimediale Zukunft eher das zu, was der amerikanische Vordenker der neuen Kommunikationstechnologien Nicholas Negroponte 1995 voraussagte: Die multimedialen Träume der Menschen ‚werden sich vielleicht erfüllen, vielleicht auch nicht…‘ Technischer Fortschritt allein reicht nicht aus. Das neue Kommunikationszeitalter kann erst dann Wirklichkeit werden, wenn die Menschen auch bereit sind, sich und ihre liebgewordenen alten Lebensgewohnheiten zu ändern."

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

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