Erlebniskultur im Test 

Forschung aktuell, 142

25. August 1998

Dowload Beitrag als PDF

(inkl. Grafiken wenn vorhanden)

Erlebniskultur im Test

Enttäuschungen bei Sportveranstaltungen am größten

Die Fußball-Bundesliga boomt, das Theater in der Krise? Die öffentliche Diskussion täuscht. Nur knapp ein Fünftel der Bevölkerung (19%) besucht Bundesligaspiele, während fast jeder dritte Bundesbürger (32%) zu den Theaterbesuchern zählt. Noch größer fallen die Unterschiede in der Bewertung des Publikums aus: 12 Prozent der Theaterbesucher kommen enttäuscht nach Hause zurück; deutlich höher ist hingegen der Unzufriedenheitsgrad beim Fußballbesuch. Jeder dritte Zuschauer (32%) stellt hier fest: "Der Besuch war sein Geld nicht wert." Dies geht aus einer aktuellen Repräsentativerhebung des Freizeit-Forschungsinstituts der British American Tobacco hervor, in der 3.000 Bundesbürger ab 14 Jahren im Juli 1998 zu ihrem Besuch und ihrer Bewertung von Veranstaltungen im Bereich von Sport, Kultur und Unterhaltung befragt wurden.

"Ein erlebnishungriges Publikum verlangt nach Immer-Mehr", so Institutsleiter Prof. Dr. Horst W. Opaschowski. "Es muß etwas passieren. Der emotionale Kick ist genauso wichtig wie die Profi-Kicker." Doch überhöhte Erwartungen können schnell in Enttäuschungen umschlagen. Jeder zehnte Bundesbürger (10%) erlebte schon einmal einen "Sport-Event" – von der Fußball-WM über die Tour de France bis zum Formel-1-Rennen. Knapp ein Drittel der Zuschauer (30%) ist am Ende enttäuscht, weil Spannung und Sensation der Veranstaltung nicht das halten, was sie eigentlich versprechen oder die Zuschauer an Nervenkitzel erwarten. Der Sport kann ein Opfer seiner eigenen Philosophie "Höher-Weiter-Schneller" werden. In keinem anderen Erlebnisbereich ist der Unzufriedenheitsgrad so groß wie hier.

Hingegen geht mehr als jeder zweite Bundesbürger (54%) öfter ins Kino. Fast alle Kinogänger (88%) kommen auch glücklich und zufrieden wieder nach Hause zurück. Ähnliche Zufriedenheitsquoten melden Musical- und Open-air-Konzertbesucher (88% bzw. 83%). Und auch beim Zoo- und Freizeitparkbesuch meint die überwiegende Mehrheit der Befragten, daß der Besuch sein Geld wert ist (88% bzw. 82%).

Der hohe Enttäuschungsgrad im Sportbereich ist wesentlich darauf zurückzuführen, daß sich der Zuschauer-Sport immer mehr zum Tele-Sport wandelt: Im Fernsehen kann der Sport perfekt inszeniert werden. Live-Zuschauer im Stadion oder an der Rennpiste müssen dann vielfach enttäuscht feststellen, daß die Sport-Wirklichkeit das gar nicht bieten kann. Professor Opaschowski: "Die Gefahr ist groß, daß es beim TV-Sport mehr um Show und Spektakel geht und die Zuschauerkultur auf der Strecke bleibt. Das Fernsehen ist zwar immer live dabei, aber die Zuschauer werden mehr zur Geräuschkulisse degradiert." So kann der Boom eines Tages zum Bumerang werden. Wenn mehr gepflegte Langeweile als das erwartete "ultimative Match" (Boris Becker) geboten wird, bleiben die Zuschauer in Zukunft immer öfter zu Hause. Es sollte schon zu denken geben, daß die überwiegende Mehrheit aller jungen Leute im Alter von 14 bis 29 Jahren noch nie ein Bundesligaspiel (72%) oder eine andere Sportveranstaltung (82%) besucht hat.

"Luxese" – eine neue Lebenskunst der Deutschen?
Sparen bei Kleidung und Essen, mehr Geld für Events

Die Deutschen haben immer weniger Geld zur freien Verfügung. Überall muß gespart werden. Und doch: Was die Bundesbürger in den alltäglichen Dingen des Lebens einsparen, geben sie im Bereich des Erlebniskonsums offensichtlich im gleichen Maße wieder aus. Die sich ausbreitende Erlebniskultur profitiert von diesem Wandel. Der vermeintliche Widerspruch löst sich in der neuen Lebenskunst der Deutschen auf: "Luxese" – mal Luxus und mal Askese, ein Spagat zwischen Sparen und Verschwenden. Insofern sind auch "Sparzeitalter" und "Erlebniszeitalter" keine Gegensätze.

Von dem Wandel der Konsumprioritäten sind vor allem der Textil- und Einzelhandel betroffen. Finanzielle Einschränkungen fallen hier – subjektiv gesehen – immer leichter. Noch 1991 haben zwei von fünf Bundesbürgern (40%) angegeben, daß ihnen bei den Ausgaben für Kleidung "finanzielle Einsparungen am schwersten fallen". Heute ist diese Konsumpriorität deutlich auf 36 Prozent gesunken. Auch das Haushaltsbudget für Essen und Trinken hat eine leichte Bedeutungseinbuße hinnehmen müssen (1991: 53% – 1998: 52%).

Bei stagnierenden Realeinkommen wird der Verdrängungswettbewerb auch innerhalb des Erlebniskonsums härter. Die Unterhaltungselektronik hat wider Erwarten in den letzten Jahren lediglich um einen Prozentpunkt zugenommen (1991: 18% – 1998: 19%). Und während der Kulturbereich (Kino, Theater, Oper, Konzert) seine Position festigen konnte (1991: 14% – 1998: 16%), weist der Sport in der Gunst der Konsumenten leicht sinkende Tendenz auf (1991: 13% – 1998: 12%). Hingegen sind die Konsumprioritäten für Urlaubsreisen (1991: 40% – 1998: 43%) und Auto (1991: 34% – 1998: 39%) deutlich angestiegen. Erlebniskonsum wird zunehmend als Lebensqualität empfunden. Dazu Opaschowski: "Die entscheidende Motivation ist nicht mehr der materielle Bedarf, sondern der erlebnispsychologische Wunsch nach Sich-verwöhnen-Wollen."

In den Konsumentscheidungen liegen zwischen Frauen und Männern allerdings "Welten": Für Frauen sind Geldausgaben für Kleidung genauso wichtig (44%) wie für Urlaubsreisen (44%), während sich Männer in der Rolle als "Kleidermuffel" (27%) ganz wohl fühlen, um dafür mehr Geld für "ihr" Auto zurücklegen (46%) zu können.

Es ist absehbar: Der "Und-und-und"-Verbraucher der 80er und 90er Jahre (TV + Videorecorder + Zweitwagen + Urlaubsreise) entwickelt sich immer mehr zum "Hier-mehr-, dort-weniger" – Verbraucher. Der Verbraucher von heute gleicht einer gespaltenen Persönlichkeit, die das Einsparen ebenso beherrscht wie das Verschwenden. Die neue Lebenskunst der Luxese ist allerdings nicht umsonst zu haben: Sie bedeutet Verzicht auf Mittelmaß, sich Qualität und Luxus leisten zu können, aber dafür auch in anderen Bereichen Billigwaren und Opferkäufe in Kauf nehmen zu müssen. "Billig" und "teuer" sind für den Verbraucher von heute keine Gegensätze mehr.

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

Tel. 040/4151-2264
Fax 040/4151-2091
guels@zukunftsfragen.de

Beitrag teilen:

Ähnliche Beiträge

  • Sonderthema „Weihnachten“

    17. Dezember 2010

  • Forschung aktuell, 227

    16. November 2010

  • Forschung aktuell, 226

    30. September 2010

  • Forschung aktuell, 225

    2. September 2010

  • Forschung aktuell, 224

    24. Juni 2010

  • Forschung aktuell, 223

    28. Mai 2010

  • Forschung aktuell, 222

    16. März 2010

  • Forschung aktuell, 220

    25. November 2009

  • Forschung aktuell, 219

    30. September 2009

  • Forschung aktuell, 218

    17. September 2009

  • Forschung aktuell, 217

    3. September 2009

  • Forschung aktuell, 215

    6. Juni 2009