Berechnende Helfer – Hilfsbereite Egoisten
Warum die junge Generation aus Ämtern und sozialen Aufgaben aussteigt
Kommen zur Jahrtausendwende alte materialistische Werte wieder? Ist die nachwachsende Generation auch in sozialen Fragen mehr am eigenen Vorteil als an der Hilfe für andere interessiert? Nur vier Prozent der Jugendlichen im Alter von 14 bis 29 Jahren sind regelmäßig ehrenamtlich tätig. Alle übrigen verweigern sich hingegen mit dem Argument "Bringt kein Geld" (43%) oder "Kostet zuviel Zeit" (47%). Dies geht aus einer Repräsentativbefragung von 3.000 Personen ab 14 Jahren hervor, in der das Freizeit-Forschungsinstitut der British American Tobacco nach dem sozialen Engagement der Bevölkerung und ihrer Einstellung zur unbezahlten freiwilligen Mitarbeit in sozialen Organisationen gefragt hat.
"Kalkulierte Hilfsbereitschaft löst zunehmend das selbstlose Helferpathos ab", so Institutsleiter Prof. Dr. Horst W. Opaschowski. "Auch soziales Engagement muß sich bei der Jugend rechnen und die Frage gefallen lassen: Was bringt es mir?" Neben materiellen Erwägungen sorgt insbesondere die Konkurrenz der Konsumangebote im Umfeld von TV und Multimedia, Shopping, Kino und Essengehen sowie Hobby und Sport für die wachsende Zeitnot der jungen Erlebnisgeneration. Für zusätzliche Engagements bleibt da kaum noch Zeit. So ist auch das Hauptargument der Jugend "gegen" ein soziales Engagement zu verstehen: "Kostet zuviel Zeit!" Dies trifft vor allem für die jungen Leute im Alter von 18 bis 24 Jahren zu (51%). Das Alltagsleben vieler Jugendlicher gleicht beinahe einer Streßrallye, die sie dadurch bewältigen, daß sie sich nur noch für das entscheiden, was ihnen persönlich besonders wichtig erscheint. Alles andere darf dann kaum noch Zeit in Anspruch nehmen bzw. "keine Zeit kosten".
Der Ausstieg der Jugend aus sozialen Aufgaben ist also mehr eine Entscheidung für den Konsumgenuß als gegen das soziale Engagement. Hinzu kommt, daß die sogenannte "Freiwilligenarbeit" von Jugendlichen gar nicht so freiwillig empfunden wird. Jeder sechste Jugendliche (17%) hat dabei eher das Gefühl einer "lästigen Pflicht". Weitere 12 Prozent kritisieren den "Gruppenzwang", dem sie sich unterordnen müssen. So erscheint es nur folgerichtig, daß jeder siebte Jugendliche (14%) zu der persönlichen Bilanz gelangt: Soziales Engagement macht keinen Spaß.
"Spaß bedeutet für Jugendliche mehr als nur Fun", so Professor Opa-schowski. "Spaß kann auch ein anderes Wort für Freude, Lust, Motivation und Sinnhaftigkeit sein." Soziale Organisationen müssen daher umdenken. Statt nur an Pflicht und Moral, Aufopferung und soziale Fürsorge zu appellieren, sollte mehr das große Potential an Hilfsbereitschaft, das auch in der Jugend vorhanden ist, gefordert und gefördert werden. Selbst in einer individualisierten Gesellschaft stirbt der Wunsch, anderen helfen zu wollen, nicht aus. Allerdings wollen die freiwilligen Helfer von heute und morgen den Umfang, die Intensität und auch die zeitliche Dauer ihres Engagements selbst bestimmen. Eigene Interessen sind dabei genauso wichtig wie gemeinsame Erlebnisse. Der bloße Appell an Solidarität und Nächstenliebe erinnert hingegen jeden neunten Jugendlichen (11%) an "karitativen Mief".
Die selbstlosen stillen Helfer gibt es bald nicht mehr. Zur neuen Generation der Ehrenamtlichen zählen berechnende Helfer ("Auch das Ehrenamt muß sich lohnen") genauso wie hilfsbereite Egoisten ("Nur, was mir Spaß macht, mache ich auch gut"). Einen solchen Einstellungswandel der Jugend müssen die sozialen Organisationen und Institutionen tolerieren.