Xtrem – Extremsport als Zeitphänomen 

Forschung aktuell, 156

19. September 2000

(inkl. Grafiken wenn vorhanden)

Xtrem – Extremsport als Zeitphänomen

"Xtrem": Jugend zwischen Kick und Kult.
Extremsport als Zeitphänomen

Höher, härter – und riskanter. Immer mehr Jugendliche suchen das Risiko und lieben das Extreme. 7 Prozent der Jugendlichen in Deutschland haben bereits Bungee Jumping-Erfahrung beim Sprung von der Brücke oder dem Fernsehturm. Dreimal so viele (21%) wollen den Sturzflug noch ausprobieren. Am meisten können sich die Jugendlichen derzeit für das Fallschirmspringen begeistern; fast ein Viertel aller Jugendlichen (23%) will in der nächsten Zeit den Fallschirmsprung noch wagen. Dies geht aus Repräsentativbefragungen von 3.000 Personen ab 14 Jahren hervor, die das Freizeit-Forschungsinstitut der British American Tobacco jetzt in der Studie "Xtrem. Der kalkulierte Wahnsinn" veröffentlicht. Dabei wurde erstmals auch repräsentativ untersucht, warum Risikosportler freiwillig Gefährdungen eingehen.

"Extreme Langeweileverhinderung ist das Hauptmotiv von Jugendlichen auf der Flucht vor der Erlebnisarmut des Alltags", so Prof. Dr. Horst W. Opaschowski, der Leiter des Instituts. "Die Jugendlichen haben mehr Angst vor der Langeweile als vor dem Risiko. Und wenn sie bei körperlichen Herausforderungen den ultimativen Kick erleben, haben sie auch den größten Spaß dabei." Spaß heißt für sie: Freude am kalkulierten Risiko. Bungee Jumping (75%), Canyoning (71%), River Rafting (70%) und Freeclimbing (62%) zählen nach Meinung der Befragten zu den riskantesten und wagnisreichsten Sportarten.

Mit dem Nervenkitzel wächst der Spaß

Die spezielle Befragung von 217 Risikosportlern in Deutschland erbringt den Nachweis, dass es ihnen zunächst mehr um Lust und Leistung als um Nervenkitzel geht: "Just for fun" und im Leben auch "einmal" etwas Verrücktes tun, ist das Hauptmotiv dieser Erlebnisgeneration, die im Hier und Jetzt lebt und das Leben aktiv erleben und intensiv genießen will. "Gesucht wird mehr ein Leben mit Spaß als ein Leben in Gefahr", so Professor Opaschowski. "Nicht wegen des Risikos, sondern trotz des Risikos suchen sie ihre körperliche Herausforderung. Thrill macht Spaß. Und mit dem Nervenkitzel wächst der Spaß – aber nur dann, wenn sie auch heil wieder nach Hause kommen."

Der Reiz und die Lust am Risiko wird aus der jeweiligen Sicht der Bevölkerung und der Extremsportler ganz unterschiedlich eingeschätzt. Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist klar: Risikosportler fliehen doch nur vor der Langeweile ihres eigenen Lebens (63%) und wollen dabei ihren ultimativen Kick erleben (59%). Die Extremsportler setzen einen ganz anderen Akzent: Sie wollen in erster Linie Spaß haben (66%), alle anderen Motive sind nachgeordnet. Wer also den Risikosport als Zeitphänomen verstehen und erklären will, kann sich mit einfachen Erklärungen nicht mehr zufrieden geben. Verantwortlich dafür ist ein vielfältiges Motivbündel zwischen Lust und Langeweile. Wenn es den Risikosportlern wirklich nur um Spaß ginge, dann könnten sie auch ins Kino, in die Disco oder in den nächsten Freizeitpark gehen. Sie wollen mehr: Spaß plus Kick plus Abenteuer plus gemeinsame Erlebnisse.

"Lote deine Grenzen aus!"
Risikosportler als Grenzgänger

Risikosportler bewegen sich in Grenzsituationen, die aus freien Stücken Grenzen berühren, nicht aber überschreiten. Sie wollen Grenzgänger und keine Aussteiger sein. Die B.A.T-Befragung der Risiko- und Extremsportler weist nach, dass sie mehrheitlich eher jung, ledig und höher gebildet sind. Sie fühlen sich frei und weitgehend unabhängig, brauchen auf Familie und Kinder keine Rücksicht zu nehmen und können daher auch mehr wagen. Infolgedessen sind z.B. unter den 14- bis 29-Jährigen dreimal so viel Bungee Jumper vertreten wie in der übrigen Bevölkerung. Und unter Freeclimbern sind Hochschul- und Universitätsabsolventen überrepräsentiert.

Risikosport ist nicht nur Männersache. Insbesondere an Freeclimbing, Tiefseetauchen und Survival Training sind Frauen gleichermaßen interessiert. Hingegen erweisen sich Trekking, Canyoning, Bungee Jumping und Fallschirmspringen als Domänen männlicher Sportinteressen. Und so sehr sich auch Risikosportarten weltweit ausbreiten – ihr Anteil am Unfallgeschehen ist nach den Erfahrungswerten von Versicherungen äußerst gering: Bei den Schadensfällen im Sport steht Fußball noch immer an erster Stelle.

Risikosport als Hilfsmittel gegen das "Gewaltpotential Langeweile"

Die Psychologie weist nach: Langeweile kommt auf, wenn man sich im Leben unterfordert fühlt. Und wer bestimmte Fähigkeiten besitzt, aber keine Möglichkeiten hat, sie anzuwenden (z.B. bei zeitweiliger Arbeitslosigkeit), droht in den Zustand chronischer Langeweile zu geraten. Das einfachste Hilfsmittel gegen Langeweile und Erlebnisarmut des Lebens ist körperliche Bewegung. Das Defizit muss irgendwie "abgearbeitet" werden, weil es sonst in Aggression, Gewalt oder Vandalismus umzuschlagen droht. Opaschowski: "Langeweile, nicht krimineller Geist steckt hinter vielen jugendlichen Straftaten." Und die meisten Gewaltaktionen passieren nicht aus Lust und Leidenschaft, sondern aus Frust und Langeweile.

So gesehen kann die Ausübung von Risikosportarten Schlimmeres im Bereich von Aggressivität und Gewalt verhüten und zugleich Erlebnis- und Sinndefizite des Alltagslebens ausgleichen helfen. Risikosport wird zum sinnvollen Ventil. Das zeitweilige Eingehen von Risiken sollte insbesondere bei Jugendlichen akzeptiert werden, solange Mitmenschen und Gesellschaft dadurch nicht bedroht oder geschädigt werden – frei nach Boris Becker: "Mein einziger Konkurrent? Ich selbst."

Die neue B.A.T-Studie "Xtrem. Der kalkulierte Wahnsinn. Extremsport als Zeitphänomen" von Prof. Dr. Horst W. Opaschowski ist ab 19. September 2000 im Buchhandel erhältlich (Preis: 29,92 DM, Germa-Press Verlag Hamburg, ISBN-Nr. 3-924865-33-7)

Journalisten und Redaktionen stellen wir auf Wunsch ein Besprechungsexemplar über unseren Verlagspartner Germa Press (Fax 040 – 890 26 41) kostenlos zur Verfügung.

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