BAT Medienanalyse 2001 

Forschung aktuell, 161

30. Mai 2001

(inkl. Grafiken wenn vorhanden)

BAT Medienanalyse 2001

Computer erstmals wichtiger als Bücher.
Jugend ändert ihre Gewohnheiten

Die Medienrevolution entlässt ihre Kinder. Die Art, wie Jugendliche derzeit ihr Leben gestalten, kann zukunftsweisend werden. Die 14- bis 29-jährigen Jugendlichen von heute stellen die erste "Generation @" dar, die ganz selbstverständlich mit elektronischen Medien wie TV und CD, Handy und PC aufwächst und umgeht. Der mediale Einfluss auf ihren Lebensstil ist nachhaltig. Grundlegende Änderungen ihrer Lebensgewohnheiten künden sich an: Erstmals in diesem Jahr können sich Jugendliche mehr für Computer (47%) als für Bücher (43%) begeistern. Noch vor fünf Jahren gab es unter den Jugendlichen doppelt so viele Buchleser (1996: 47%) wie PC-Nutzer (23%). Dies geht aus der aktuellen Medienanalyse des Freizeit-Forschungsinstituts der British American Tobacco hervor, in der repräsentativ 2.000 Personen ab 14 Jahren in Deutschland nach ihren Mediengewohnheiten gefragt wurden.
Das Buch stirbt dennoch nicht. Und auch ein Verfall der Lesekultur ist vorerst nicht zu befürchten. Im Zeitvergleich der letzten Jahre ist feststellbar, dass der Anteil der Jugendlichen, die Bücherlesen zu ihren alltäglichen Lieblingsbeschäftigungen zählen, stabil geblieben ist (1990: 40% – 2000: 42% – 2001: 43%). Zusätzlich aber kommt die PC-Nutzung mit beinahe exponentiellen Wachstumsraten hinzu (1999: 29% – 2000: 34% – 2001: 47%). Dazu Institutsleiter Prof. Dr. Horst W. Opaschowski: "Der Computer ergänzt, aber verdrängt nicht das Buch. Diese Entwicklung war vorhersehbar und ist auch nicht mehr umkehrbar. Die Faszination des neuen Mediums PC wird weiter wachsen, aber das Blättern und Lesen in einem echten Buch wird deshalb seinen Reiz nicht verlieren."

Generation @: Ständig unter Strom!
Immer mehr in gleicher Zeit

Der Konkurrenzkampf der Medien um die knapp bemessene Zeit der Erlebniskonsumenten von heute wird härter. Das Zeitbudget ist für die junge Erlebnisgeneration genauso wichtig wie das Geldbudget geworden. Jugendliche leben zunehmend nach der Devise "Mehr tun in gleicher Zeit".
Die 14- bis 29-Jährigen wollen alles sehen, hören und erleben und im Leben nichts verpassen. Sie nehmen sich genauso viel Zeit für das Fernsehen wie die übrige Bevölkerung auch (jeweils 96%). Zusätzlich und oft zeitgleich nutzen sie andere Medien in ihrer Freizeit: Sie sehen deutlich mehr Videofilme (51% – Gesamtbevölkerung: 28%) und nehmen sich auch mehr Zeit für das Hören von CD’s und Musikkassetten (72% – Gesamtbevölkerung: 42%). Und dabei bleibt selbst für das Bücherlesen noch Zeit (43% – Gesamtbevölkerung: 43%).
Fast jeder zweite Jugendliche beschäftigt sich zudem mit dem Computer (47% – Gesamtbevölkerung: 25%) und knapp jeder vierte findet an Videospielen Gefallen (23% – Gesamtbevölkerung: 8%). Die Entwicklung neuer Technologien und die Verbreitung der elektronischen Medien haben viele Freizeitbeschäftigungen attraktiver gemacht, den Jugendlichen zugleich aber Stress und Hektik beschert: Die Frage "Was zuerst?" oder "Wie viel wovon?" beantwortet die gestresste Generation @ in ihrer Zeitnot mit Zeitmanagement: In genauso viel Zeit werden immer mehr Aktivitäten hineingepackt und untergebracht, schnell ausgeübt und vor allem zeitgleich erledigt.

Die digitale Spaltung in Deutschland verschärft sich.
Gymnasialschüler galoppieren Hauptschülern davon

Die von der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft gemeinsam entwickelte "Initiative 21" gab im vergangenen Jahr die Warnung aus: "Deutschland droht die digitale Spaltung der Gesellschaft." Die digitale Spaltung ist inzwischen da und sie verschärft sich zusehends. Noch nie war die Kluft bei der Internet-Nutzung zwischen Hauptschülern und Gymnasiasten so groß wie heute. Befragte mit Hauptschulabschluss machen von Online-Diensten fast keinen Gebrauch (4%), während der Anteil der Surfer mit höherer Schulbildung mehr als sechsmal so hoch ist (25%). "Die Info-Elite schafft sich ein neues Wissensmonopol wie früher die Priester im alten Babylon oder die Mönche im Mittelalter durch ihre Bibliotheken in den Klöstern. Die alte Ständegesellschaft lebt in der neuen Zwei-Klassen-Gesellschaft des Informationszeitalters wieder auf", so Professor Opaschowski. "Vorauswissen ist das Kapital, das neue Ungleichheiten schafft."
Die digitale Spaltung ist vor allem ein Bildungsproblem und weniger eine Frage des Netzanschlusses oder der technischen Fertigkeiten. Mit dem Internet-Zugang lassen sich Bildungsmängel, also Defizite in Schule und Ausbildung nicht ausgleichen. Selbst wenn eines Tages alle "Schulen ans Netz" angeschlossen sind, bleibt die digitale Spaltung weitgehend erhalten, so lange nicht gleichzeitig die Allgemeinbildung in Deutschland – von elementaren Kulturtechniken bis zu Englischkenntnissen – verbessert wird und allgemeine Lebenskompetenzen wie z.B. Selbstständigkeit, Vorstellungsvermögen, Auswahlfähigkeit und schnelle Auffassungsgabe eingeübt und stärker gefördert werden. Richtigerweise muss es eigentlich heißen: Nicht das Internet spaltet die Gesellschaft, sondern die vorhandene Bildungskluft innerhalb der Bevölkerung.

Internet wird zur Lebenshilfe.
Mehr Info- als Einkaufsbörse

Der virtuelle Hausarzt ist keine Utopie mehr: Medizinische Datenbänke in aller Welt werden in Zukunft Gesundheit professioneller managen können, weil Krankengeschichten, Impfpässe oder Allergien im Computer gespeichert sind. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung (1999: 29% – 2001: 35%) in Deutschland hat ein großes Interesse daran, direkt am Computer eine "medizinische Stellungnahme" zu erhalten – z.B. Erklärungen zu einem Röntgenbild oder einem Bluttest.
Groß ist allerdings das Bildungs- und Generationengefälle. Fast jeder zweite Hochschulabsolvent (49%) vertraut auf die neuen Informationsmöglichkeiten der Telemedizin, während Befragte mit Volks- oder Hauptschulabschluss relativ wenig (26%) davon halten. Insbesondere die junge Generation im Alter von 14 bis 29 Jahren findet zunehmend Gefallen an der "Cyber-Doc"-Idee (1999: 35% – 2001: 43%). Die ältere Generation kann sich hingegen mit einer solchen Möglichkeit kaum anfreunden: 83 Prozent der Befragten im Alter von über 65 Jahren lehnen solche medizinischen Fortschritte ab und wollen lieber am bewährten Arztbesuch festhalten (1999: 83% – 2001: 83%). "Patientenaufzeichnungen von der Wiege bis zur Bahre sind möglich", so Professor Opaschowski. "Das Arzt-Patienten-Verhältnis könnte sich in Zukunft grundlegend ändern. Besser informierte Patienten würden dann bei der Umsetzung ärztlicher Theorieempfehlungen aktiver mitwirken können."

Zukunftsperspektive.
TV behauptet sich gegen Internet

Die Prognose amerikanischer Computerwissenschaftler "Netz frisst Fernsehen" erfüllt sich nicht. Ganz im Gegenteil: Wie in den USA hat sich auch in Deutschland in den letzten fünf Jahren seit der weltweiten Verbreitung des Internets die Lust am Fernsehen (1996: 94% – 2001: 94%) keineswegs verringert. Bei der jungen Generation der 14- bis 29-Jährigen, die am meisten von den neuen Medien fasziniert ist, hat die TV-Intensität sogar noch zugenommen (1996: 92% – 2001: 96%). Der prognostizierte mediale Verdrängungswettbewerb "PC statt TV" findet nicht statt. Für die neue Generation @ ist das elektronische Netz wie ein zusätzlicher Medienkanal: Zum TV-Programm gesellt sich das Web-Angebot. Allerdings wird es für neue Medienangebote immer schwieriger, sich einen Stammplatz im Zeitbudget der Konsumenten zu erobern, zumal nach wie vor Phlegma, Trägheit und Bequemlichkeit die Feierabendgewohnheiten der Bürger bestimmen. Nur 11 Prozent der Bundesbürger machen wenigstens einmal in der Woche von Internet und Online-Diensten Gebrauch. Die Hoffnungen der Computerbranche, Internet könne ein Massenmedium wie das Fernsehen werden, scheitern einfach an den Lebensgewohnheiten der Bevölkerung. Die Menschen ändern nur langsam ihre Gewohnheiten. Wirkliche Verhaltensänderungen wird es "erst mit einer neuen Generation" (Bill Gates) geben.

— Langfassung —

Computer erstmals wichtiger als Bücher.
Jugend ändert ihre Gewohnheiten

Die Medienrevolution entlässt ihre Kinder. Die Art, wie Jugendliche derzeit ihr Leben gestalten, kann zukunftsweisend werden. Die 14- bis 29-jährigen Jugendlichen von heute stellen die erste "Generation @" dar, die ganz selbstverständlich mit elektronischen Medien wie TV und CD, Handy und PC aufwächst und umgeht. Der mediale Einfluss auf ihren Lebensstil ist nachhaltig. Grundlegende Änderungen ihrer Lebensgewohnheiten künden sich an: Erstmals in diesem Jahr können sich Jugendliche mehr für Computer (47%) als für Bücher (43%) begeistern. Noch vor fünf Jahren gab es unter den Jugendlichen doppelt so viele Buchleser (1996: 47%) wie PC-Nutzer (23%). Dies geht aus der aktuellen Medienanalyse des Freizeit-Forschungsinstituts der British American Tobacco hervor, in der repräsentativ 2.000 Personen ab 14 Jahren in Deutschland nach ihren Mediengewohnheiten gefragt wurden.
Das Buch stirbt dennoch nicht. Und auch ein Verfall der Lesekultur ist vorerst nicht zu befürchten. Denn den Jugendlichen gelingt ein ungewöhnlicher Medienspagat. Sie halten an ihren alten Lesegewohnheiten fest und begeistern sich zugleich und zusätzlich für neue Medien. Im Zeitvergleich der letzten Jahre ist feststellbar, dass der Anteil der Jugendlichen, die Bücherlesen zu ihren alltäglichen Lieblingsbeschäftigungen zählen, stabil geblieben ist (1990: 40% – 2000: 42% – 2001: 43%). Zusätzlich aber kommt die PC-Nutzung mit beinahe exponentiellen Wachstumsraten hinzu (1999: 29% – 2000: 34% – 2001: 47%). Der Computer ergänzt, aber verdrängt nicht das Buch. Diese Entwicklung war vorhersehbar und ist auch nicht mehr umkehrbar. Die Faszination des neuen Mediums PC wird weiter wachsen, aber das Blättern und Lesen in einem echten Buch wird deshalb seinen Reiz nicht verlieren.
Seit es elektronische Medien gibt (Radio, Film, Fernsehen, Computer), wird das Ende der Bücher prophezeit:

  • In den zwanziger und dreißiger Jahren wurde befürchtet, dass der Film das Erziehungssystem revolutionieren und den Gebrauch von Büchern "vollständig ersetzen" werde (Wise 1939, S. 1).
  • In den vierziger Jahren wurde prognostiziert, dass Radio und Fernsehen die Schiefertafel und das Schreibheft ersetzen und der Schulfunk den Unterricht beherrschen werde (Levenson 1945, S. 457).
  • Und seit Mitte der neunziger Jahre macht man sich ernsthaft Gedanken darüber, ob man nicht auf Bibliotheken in Schulen und Universitäten verzichten und Bücher durch Computer ersetzen könne.

Wenn es gar nach New Gingrich, dem republikanischen Sprecher des US-Repräsentantenhauses im Jahre 1998, ginge, dann dürfte es in zwei Jahren "keine Lehrbücher mehr" geben, weil alle Schüler nur noch mit Laptop arbeiten und lernen würden (vgl. Stoll 2001, S. 50).
In der Tat können gedruckte Schulbücher schnell veraltet sein, während Laptops immer auf den neuesten Stand gebracht werden können. Dem steht allerdings die Alltagserfahrung entgegen: "Laptops sind weit kurzlebiger als Bücher. In den Händen von Kindern überleben sie kaum ein Jahr. Sie überleben weder den Fall auf Beton noch einen Ausflug an den Sandstrand, noch Schlammschlachten, ja noch nicht einmal eine zu dicht gepackte Schultasche. Sie mögen weder aufgeheizte Autos noch Schneestürme. Ihre CD-ROMS vertragen weder Nutella noch Marmelade. Die aufladbaren Akkus müssen jährlich ersetzt werden …" (Stoll 2001, S. 53). Der Computer wird das Lehrbuch nie ersetzen, allenfalls ergänzen, aktualisieren und verbessern.
Deutschland bleibt ein Leseland, aber die Qualität des Lesens wird sich grundlegend ändern, weil die täglichen Vielleser fast auszusterben drohen (1992: 16% – 2000: 6%), wie die aktuellen Repräsentativuntersuchungen der Stiftung Lesen (2001) belegen. Eine Art Buch-Lese-Paradox breitet sich in Deutschland aus. Der Bücherbestand in den privaten Bibliotheken der eigenen vier Wände wächst, der Anteil der Nichtleser (1992: 20% – 2000: 28%) aber auch. Es werden offensichtlich immer mehr Bücher gekauft und immer weniger Bücher gelesen. So bewahrheitet sich eine Prognose aus den neunziger Jahren. 1992 veröffentlichte das B·A·T Freizeit-Forschungsinstitut ein Zukunftsszenario unter dem Titel "Freizeit 2001". Darin wurden provokative Thesen aufgestellt, die seinerzeit für Unruhe und Kritik in der Buchbranche sorgten: "Vielleicht werden in Zukunft deutlich mehr Bücher gekauft als wirklich gelesen. So bleibt manch reich beschenktem Freizeitkonsumenten in seiner Zeitnot nur eine Strategie: ‚Anlesen, wegstellen – und vergessen!’" (1992, S. 21).
Das Szenario ist jetzt Wirklichkeit geworden. Die Stiftung Lesen muss selbstkritisch eingestehen, dass die Deutschen auf dem besten Wege zu einem Volk von Lese-Zappern sind:

  • Das überfliegende Lesen ("Ich überfliege manchmal die Seiten und lese nur das Interessanteste") breitet sich aus (1992: 14% – 2000: 19%).
  • Das Parallel-Lesen ("Ich habe öfter mehrere Bücher, in denen ich gleichzeitig/parallel lese") hat sich in den letzten Jahren fast verdoppelt (1990: 10% – 2000: 19%).
  • Auch das Häppchen-Lesen ("Ich lese Bücher in kleinen Portionen über längere Zeit") nimmt weiter zu (1992: 29% – 2000: 35%).
  • Kontinuierlich und ohne Lesepausen eine Buchlektüre vorzunehmen ("Ich bleibe bei einem begonnenen Buch, mache aber Lesepausen") fällt den Menschen immer schwerer (1992: 18% – 2000: 47%).

In einer sich ausbreitenden Zapping-Kultur geht der lange Atem für Langatmiges langsam verloren. Es bestätigt sich: "In Zukunft wird man schneller lesen als heute. Zugleich werden Bereitschaft und Fähigkeit sinken, längere Texte zu lesen" (Opaschowski 1999, S. 196). Für die Zukunft gilt: Lesen wird nicht aussterben, aber Anlesen kann in Zukunft wichtiger als Durchlesen werden.

Generation @: Ständig unter Strom!
Immer mehr in gleicher Zeit

Der Konkurrenzkampf der Medien um die knapp bemessene Zeit der Erlebniskonsumenten von heute wird härter. Das Zeitbudget ist für die junge Erlebnisgeneration genauso wichtig wie das Geldbudget geworden. Jugendliche leben zunehmend nach der Devise "Mehr tun in gleicher Zeit".
Die 14- bis 29-Jährigen wollen alles sehen, hören und erleben und im Leben nichts verpassen. Sie nehmen sich genauso viel Zeit für das Fernsehen wie die übrige Bevölkerung auch (jeweils 96%). Zusätzlich und oft zeitgleich nutzen sie andere Medien in ihrer Freizeit: Sie sehen deutlich mehr Videofilme (51% – Gesamtbevölkerung: 28%) und nehmen sich auch mehr Zeit für das Hören von CD’s und Musikkassetten (72% – Gesamtbevölkerung: 42%). Und dabei bleibt selbst für das Bücherlesen noch Zeit (43% – Gesamtbevölkerung: 43%).
Fast jeder zweite Jugendliche beschäftigt sich zudem mit dem Computer (47% – Gesamtbevölkerung: 25%) und knapp jeder vierte findet an Videospielen Gefallen (23% – Gesamtbevölkerung: 8%). Die Entwicklung neuer Technologien und die Verbreitung der elektronischen Medien haben viele Freizeitbeschäftigungen attraktiver gemacht, den Jugendlichen zugleich aber Stress und Hektik beschert: Die Frage "Was zuerst?" oder "Wie viel wovon?" beantwortet die gestresste Generation @ in ihrer Zeitnot mit Zeitmanagement: In genauso viel Zeit werden immer mehr Aktivitäten hineingepackt und untergebracht, schnell ausgeübt und vor allem zeitgleich erledigt.

Die digitale Spaltung in Deutschland verschärft sich.
Gymnasialschüler galoppieren Hauptschülern davon

Die von der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft gemeinsam entwickelte "Initiative 21" gab im vergangenen Jahr die Warnung aus: "Deutschland droht die digitale Spaltung der Gesellschaft." Die digitale Spaltung ist inzwischen da und sie verschärft sich zusehends. Noch nie war die Kluft bei der Internet-Nutzung zwischen Hauptschülern und Gymnasiasten so groß wie heute. Befragte mit Hauptschulabschluss machen von Online-Diensten fast keinen Gebrauch (4%), während der Anteil der Surfer mit höherer Schulbildung mehr als sechsmal so hoch ist (25%). Die Info-Elite schafft sich ein neues Wissensmonopol wie früher die Priester im alten Babylon oder die Mönche im Mittelalter durch ihre Bibliotheken in den Klöstern. Die alte Ständegesellschaft lebt in der neuen Zwei-Klassen-Gesellschaft des Informationszeitalters wieder auf. Vorauswissen ist das Kapital, das neue Ungleichheiten schafft.
Die digitale Spaltung ist vor allem ein Bildungsproblem und weniger eine Frage des Netzanschlusses oder der technischen Fertigkeiten. Mit dem Internet-Zugang lassen sich Bildungsmängel, also Defizite in Schule und Ausbildung nicht ausgleichen. Selbst wenn eines Tages alle "Schulen ans Netz" angeschlossen sind, bleibt die digitale Spaltung weitgehend erhalten, so lange nicht gleichzeitig die Allgemeinbildung in Deutschland – von elementaren Kulturtechniken bis zu Englischkenntnissen – verbessert wird und allgemeine Lebenskompetenzen wie z.B. Selbstständigkeit, Vorstellungsvermögen, Auswahlfähigkeit und schnelle Auffassungsgabe eingeübt und stärker gefördert werden. Richtigerweise muss es eigentlich heißen: Nicht das Internet spaltet die Gesellschaft, sondern die vorhandene Bildungskluft innerhalb der Bevölkerung.
In den USA gehört fast jeder vierte Bürger zum Heer der Analphabeten (24%), in Italien ist es jeder dritte (33%) und in Deutschland fast jeder fünfte (19%). Nach Ermittlungen des Bundesverbandes Alphabetisierung sind 5 Prozent der Deutschen praktisch Analphabeten, weitere 14 Prozent Semi-Analphabeten, die nur mit Mühe einen einfachen Brief schreiben können und in der untersten Stufe der Lesefähigkeit stehen geblieben sind. Genauso wie geringer Gebildete deutlich weniger Bücher lesen oder kaum ins Theater, Museum oder in die Kunstausstellung gehen, machen sie auch von PC und Online-Diensten kaum Gebrauch. Wer dies grundlegend ändern will, darf nicht PC und Laptop zum neuen Bildungsideal erklären, sondern muss die Lese- und Schreibfähigkeit auf breiter Ebene erhöhen und das analytische und selbstständige Denken in der Schule systematisch fördern.
PC-Kompetenz setzt Lese-Kompetenz voraus. Lese-Analphabeten können keine Computer-Freaks werden. Dies gilt in gleicher Weise für den Stellenwert der Schreibkompetenz, die eng mit der Lese- und Computerkompetenz zusammenhängt: Doppelt so viele Vielleser nutzen den PC zum Verfassen privater Texte. Drei Viertel der Bevölkerung, die privat nicht schreiben, besitzen infolgedessen auch keinen Computer. Es gibt einen nachweisbaren Zusammenhang zwischen dem privaten Schreibverhalten der Bundesbürger und der Nutzung neuer Informationstechnologien (Bredel 2001, S. 154). Ohne eine stärkere Förderung von Bildung, Lesen- und Schreibenkönnen auf breiter Ebene bleibt die Informations- und Wissensgesellschaft eine Illusion. Und ohne die Beherrschung der elementaren Kulturtechniken, wozu auch das Rechnen gehört, wird der Umgang mit dem PC weiterhin als

  • umständlich und unübersichtlich,
  • anstrengend und ermüdend

empfunden (vgl. Gross 2001, S. 189).
Eine zukunftsorientierte Bildungs- und Medienpolitik sollte sich daher von drei Grundsätzen leiten lassen: 1. Alle Grundschüler in den Englischunterricht. Denn 80 Prozent aller Informationen im Internet sind in englischer Sprache abgefasst. 2. Alle Hauptschüler in den Programmier- und Informatikkurs. 3. Allen Dritten Fernsehprogrammen zur Auflage machen, regelmäßig englischsprachige Spielfilme zu senden – nicht synchronisiert, sondern mit deutschen Untertiteln versehen, um ähnliche Sprachkompetenzen wie die Bürger in den Benelux-Staaten zu erwerben. Der Umgang mit den neuen Informationstechnologien setzt mehr Bildung, mehr Wissen und mehr Sprachkenntnisse als je zuvor voraus. Ohne eine solche breite Bildungsoffensive von der Grundschule an besteht eher die Gefahr, dass sich zu den Schreib- und Leseanalphabeten noch ein großes Heer funktionaler Computeranalphabeten gesellt.

Internet wird zur Lebenshilfe.
Mehr Info- als Einkaufsbörse

Der virtuelle Hausarzt ist keine Utopie mehr: Medizinische Datenbänke in aller Welt werden in Zukunft Gesundheit professioneller managen können, weil Krankengeschichten, Impfpässe oder Allergien im Computer gespeichert sind. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland (1999: 29% – 2001: 35%) hat ein großes Interesse daran, direkt am Computer eine "medizinische Stellungnahme" zu erhalten – z.B. Erklärungen zu einem Röntgenbild oder einem Bluttest.
Groß ist allerdings das Bildungs- und Generationengefälle. Fast jeder zweite Hochschulabsolvent (49%) vertraut auf die neuen Informationsmöglichkeiten der Telemedizin, während Befragte mit Volks- oder Hauptschulabschluss relativ wenig (26%) davon halten. Insbesondere die junge Generation im Alter von 14 bis 29 Jahren findet zunehmend Gefallen an der "Cyber-Doc"-Idee (1999: 35% – 2001: 43%). Die ältere Generation kann sich hingegen mit einer solchen Möglichkeit kaum anfreunden: 83 Prozent der Befragten im Alter von über 65 Jahren lehnen solche medizinischen Fortschritte ab und wollen lieber am bewährten Arztbesuch festhalten (1999: 83% – 2001: 83%).
Patientenaufzeichnungen von der Wiege bis zur Bahre sind möglich. Das Arzt-Patienten-Verhältnis könnte sich in Zukunft grundlegend ändern. Besser informierte Patienten würden dann bei der Umsetzung ärztlicher Theorieempfehlungen aktiver mitwirken können. So ließen sich Ängste schneller abbauen und auch der Informationsaustausch mit anderen Betroffenen (z.B. Selbsthilfegruppen) wäre problemloser möglich. Computer und Internet würden den direkten Kontakt zum Arzt zwar nicht ersetzen, aber als eine Art zusätzliche Lebenshilfe sinnvoll ergänzen.
Eine neue Form von Dienstleistung, die mehr Lebensqualität verspricht, ist in Zukunft möglich. Dafür spricht auch, dass das Interesse, z.B. von zu Hause aus per PC an Fortbildungsprogrammen teilzunehmen, weiter zugenommen hat (1999: 38% – 2001: 41%). Erst danach folgen in der Rangfolge der Bürgerinteressen Homebanking, Onlineshopping und Online-Reisebuchung. PC und Internet werden wohl auch in Zukunft mehr eine Info- und weniger eine Einkaufsbörse sein.

Zukunftsperspektive.
TV behauptet sich gegen Internet

Die Prognose amerikanischer Computerwissenschaftler "Netz frisst Fernsehen" erfüllt sich nicht. Ganz im Gegenteil: Wie in den USA hat sich auch in Deutschland in den letzten fünf Jahren seit der weltweiten Verbreitung des Internets die Lust am Fernsehen (1996: 94% – 2001: 94%) keineswegs verringert. Bei der jungen Generation der 14- bis 29-Jährigen, die am meisten von den neuen Medien fasziniert ist, hat die TV-Intensität sogar noch zugenommen (1996: 92% – 2001: 96%). Der prognostizierte mediale Verdrängungswettbewerb "PC statt TV" findet nicht statt.
Für die neue Generation @ ist das elektronische Netz wie ein zusätzlicher Medienkanal: Zum TV-Programm gesellt sich das Web-Angebot. Allerdings wird es für neue Medienangebote immer schwieriger, sich einen Stammplatz im Zeitbudget der Konsumenten zu erobern, zumal nach wie vor Phlegma, Trägheit und Bequemlichkeit die Feierabendgewohnheiten der Bürger bestimmen. Die elektronischen Datennetze liegen voll im Trend, aber die Deutschen liegen lieber auf der faulen Haut. Nur 11 Prozent der Bundesbürger machen wenigstens einmal in der Woche von Internet und Online-Diensten Gebrauch.
Die Hoffnungen der Computerbranche, Internet könne ein Massenmedium wie das Fernsehen werden, scheitern einfach an den Lebensgewohnheiten der Bevölkerung. Die Menschen ändern nur langsam ihre Gewohnheiten. Wirkliche Verhaltensänderungen wird es "erst mit einer neuen Generation" (Bill Gates) geben – in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren.

Compunication.
Zukunft der Kommunikation im Medienzeitalter

Das Kunstwort "Compunication" (Opaschowski 1980) meint Netzkommunikation und bedeutet mehr als bloße Information. Wer im PC und Internet ‚compuniciert‘, ist interaktiv (und nicht nur reaktiv), gestaltet selbst (und lässt sich nicht nur konsumtiv berieseln). Compunicatoren sind Zuschauer und Nutzer zugleich. Wenn eines Tages TV und PC zusammenwachsen, die TV-Zuschauer und PC-Nutzer vom Wohnzimmer genauso wie vom Arbeitszimmer aus kommunizieren und agieren, dann werden die neuen Compunicatoren auch Viewser (Koziol 2000, S. 13), also Viewer und User zugleich sein.
Compunication als computervermittelte Kommunikation wird mitunter als künstliche Kommunikation kritisiert, in der künstliche Identitäten bzw. "Chiffreexistenzen" miteinander in Beziehung treten (vgl. Krämer 1997). Dem steht die Auffassung gegenüber, dass auch unter den Bedingungen computervermittelter Interaktion personalisierte Kommunikation stattfindet. Diese Kommunikationsform würde im Unterschied zur face-to-face-Kommunikation zwar mehr Zeit benötigen, um persönliche Bezüge aufzubauen, dafür werde sie aber teilweise intensiver erlebt. Auch über Chats, E-Mails oder Newsgroups können Freundschaften oder Partnerschaftsbeziehungen entwickelt werden (vgl. Walther 1996, Gallery 2000). Dies trifft insbesondere für Chattertreffen zu, bei denen sich die Chat-Kommunikation in eine face-to-face-Kommunikation verwandelt.
Die kulturpessimistisch begründete Zerfallsthese, wonach mit Einführung der neuen Informationstechnologien andere Kommunikationsformen zerfielen, muss mit Skepsis aufgenommen werden. Denn die Kommunikation "zerfällt" hier nicht, sondern findet lediglich "zusätzlich" über ein anderes Medium statt. Die Kommunikation wird eher ausgeweitet als eingeschränkt. Insbesondere Lehrer erhoffen sich bei den Jugendlichen eine neue Lust am Schreiben, die durch die Möglichkeiten des weltweiten E-Mail-Austausches ausgelöst würde, von dem dann auch der Deutsch- und Fremdsprachenunterricht profitieren könnte.
Compunication, die vernetzte Kommunikation von Mobiltelefon und Telefax, E-Mail und Internet, macht die Menschen überall erreichbar. Kommunizieren wird immer leichter, aber Verstehen und Verstanden-Werden eher schwerer. Nächtelang mit Menschen chatten, die man nicht kennt? Das kann nur ein schwacher Ersatz für die alltägliche Kommunikation sein. Besteht nicht eher die Gefahr, dass z.B. Jugendliche den persönlichen Umgang mit ihren Freunden zunehmend aus den Augen verlieren oder gar verlernen? Fremde Welten und Menschen rücken mit Hilfe der modernen Kommunikationstechnologien ganz nah, während gleichzeitig Nachbarn wie Bewohner einer fremden Welt werden können.
Immer mehr Kinder und Jugendliche gewöhnen sich an die virtuelle Kommunikation/Compunication per PC und Handy. Sie greifen ganz selbstverständlich zum Handy, um sich mit Nachbarskindern zum Spielen zu verabreden (vgl. Petzold 2000, S. 18). Das Kinderzimmer wird zur Telefonzelle, zur Insel im Meer der Mediennetze. Hinzu kommen Kommunikationsmöglichkeiten in Chat-Rooms oder Internet-Cafés. Das wirkliche Leben ("Real Life") stirbt deshalb nicht, muss sich aber immer mehr gegen die Konkurrenz des virtuellen Lebens behaupten.

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

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