Deutsche Tourismusanalyse 2002 

Forschung aktuell, 165

6. Februar 2002

(inkl. Grafiken wenn vorhanden)

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Deutsche Tourismusanalyse 2002

British American Tobacco stellt die 18. Deutsche Tourismusanalyse des Freizeit-Forschungsinstituts vor

Der Tourismus-Boom geht zu Ende
Einbußen ja – Einbruch nein

Mit dem Tourismus verliert der Wachstumsmarkt in Deutschland seine letzte Bastion. Weniger die Folgen des 11. September als die sich verstärkende Rezession haben 2001 eine Reisebranche erreicht, die sich dem Sog der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung nicht länger entziehen kann. Dennoch scheint die Reiselust der Deutschen weitgehend ungebrochen. So weisen die Reiseabsichten für 2002 im Vergleich zum Vorjahr nur leicht sinkende Tendenz auf (2001: 49% – 2002: 47%), der Anteil der Reiseverweigerer bleibt unverändert (2001: 24% – 2002: 24%). Das geht aus der 18. Deutschen Tourismusanalyse des Freizeit-Forschungsinstituts der British American Tobacco hervor, in der 5.000 Bundesbürger ab 14 Jahren nach ihrem Urlaubsverhalten 2001 und ihren Reiseabsichten 2002 befragt wurden.
"Die deutschen Urlaubsreisenden zeigen durchaus Krisenbewusstsein", so Institutsleiter Prof. Dr. Horst W. Opaschowski "halten aber wenig von Hysterie. Auch wenn für 2002 keine Zuwachsraten zu erwarten sind, findet die von der Touristikbranche befürchtete Zitterpartie offensichtlich nicht statt. Der Eindruck entsteht: Die Reisebranche gibt sich verunsicherter als die Reisenden selbst." Von den in der Zeit vom 8. bis 23. Januar 2002 befragten Bundesbürgern sind sich nur 29 Prozent (im Vorjahr 2001: 27%) noch "unsicher", ob sie in diesem Jahr verreisen wollen oder können. Vier Monate nach dem 11. September liegt also der Unsicherheitsgrad in der Bevölkerung nicht höher als in den Jahren 1998 bis 2000 bzw. zur Zeit der Golfkrise im Jahr 1991.
Die Bundesbürger demonstrieren verhaltenen Optimismus. Nach einer B.A.T Befragung Anfang bis Mitte Dezember 2001 standen sie noch ganz unter dem Eindruck der Terroranschläge in New York: Jeder dritte Befragte (33%) war unsicher und wollte seine Urlaubspläne grundlegend ändern – von der Wahl eines anderen Verkehrsmittels bis zum totalen Reiseverzicht. Während der Golfkrise vor zehn Jahren, als das B.A.T Institut eine ähnliche Umfrage durchführte, hatte dieser Anteil hingegen nur bei 18 Prozent gelegen.
Inzwischen rücken New York und Afghanistan als aktuelle Krisenmeldungen wieder in den Hintergrund. Damit lässt auch die Vertrauenskrise der Bevölkerung im Hinblick auf die Sicherheit des Reisens nach. Der befürchtete Flächenbrand von geradezu globalen Ausmaßen findet im Tourismus nicht statt. Im übrigen lehrt die Erfahrung der letzten Jahre: "Der Tourist hat ein chronisches Kurzzeitgedächtnis und leistet keine Trauerarbeit", so Professor Opaschowski. "Diese Schutz- und Ventilfunktion ist notwendig, um das Leben lebenswert zu halten und die Urlaubsidee ?Schöne Ferien‘ zu retten".
Erfahrungswerte der letzten dreißig Jahre weisen nach: Internationale Krisen oder Terroranschläge haben das Reiseverhalten der Urlauber nicht nachhaltig verändern können. Allenfalls zeitweilige Richtungsänderungen der Reiseströme (z.B. weg von Ägypten, Florida oder der Türkei) waren feststellbar. Wer die Absicht hatte, im Urlaub zu verreisen, hielt auch in Krisenzeiten – mit teilweise veränderten Reisezielen – daran fest. Die Reiselust wurde weder gestoppt noch dauerhaft gebremst.
Die derzeitigen Auswirkungen von Krise und Rezession auf den Tourismus sind also durchaus überschaubar und prognostizierbar – sofern beides nicht weiter eskaliert. Die befürchteten "Reisestornos wie Sand am Meer" wird es nicht geben. Nur vorübergehend verändern sich die Urlaubspläne – die Reiseabsichten aber bleiben für die meisten Bundesbürger stabil. Die Touristikbranche wird sich auf zeitweilige Zurückhaltung der Kunden sowie Umbuchungen und Umroutungen einstellen, aber keine katastrophalen Einbrüche befürchten müssen. Opaschowski: "Wie schon während des Golfkrieges profitieren von der unsicheren weltpolitischen Lage mehr die Nahziele im eigenen Land."

Bilanz der vergangenen Reisesaison 2001
Bremsspuren im Reiseverhalten

Die vergangene Reisesaison 2001 stand rückblickend im Zeichen des 11. September. Die internationale Krise hinterließ Bremsspuren, auch wenn sie für die Entwicklung des Gesamtjahres nur bedingt verantwortlich war. Die Reiseintensität der Bundesbürger, die wenigstens fünf Tage im Urlaub verreisten, erreichte den tiefsten Stand seit der deutschen Vereinigung (1991: 53% – 2000: 52% – 2001: 51%). Dieser Rückgang ist auch bei längeren Urlaubsreisen von mehr als zwei Wochen Dauer (1991: 44% – 2000: 42% – 2001: 41%) feststellbar, während das Interesse an 2- bis 4-tägigen Kurzreisen leicht anstieg (2000: 4% – 2001: 5%). Die Unsicherheit auf dem Reisemarkt, mehr jedoch die konjunkturelle Entwicklung haben die sinkende Reiseintensität und die Tendenz zu kürzeren Reisen maßgeblich beeinflusst.

Inlandsreiseziele 2001
Hoch im Norden: Ostsee vor Nordsee und Bayern

Urlaub im eigenen Land ist in der vergangenen Saison für die Bundesbürger wieder attraktiver geworden (2000: 31% – 2001: 34%). Viele Reisende haben aus der Not eine Tugend gemacht und die ohne Flug erreichbaren Nahziele wiederentdeckt. Dabei hält das Hoch im Norden an. Die Ostseeküste (2000: 6% – 2001: 8%) in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern ist von allen Feriengebieten in Deutschland am meisten gefragt und die Feriengebiete an der Nordsee behaupten ihre starke Position (2000: 6% – 2001: 6%).
Eine Renaissance des Berg- und Alpentourismus deutet sich zögernd an. Die bayerischen Ferienregionen haben die fast erdrutschartigen Verluste der letzten Jahre (1996: 9% – 1999: 8% – 2000: 5%) stoppen können. Ostbayern/Oberbayern/Allgäu konnten 2001 wieder leicht an Boden gewinnen (6%). Der Kampf um innerdeutsche Marktanteile verlagert sich tendenziell: Jetzt heißt es eher "Ostsee contra Nordsee" und "Mecklenburg-Vorpommern contra Schleswig-Holstein". Hier können in den nächsten Jahren die Wellen noch höher schlagen.

Auslandsreiseziele 2001
Spanien verliert weiter Marktanteile

Immer mehr Deutsche fühlten sich in den vergangenen Jahren reif für Urlaub am Mittelmeer. Spanien schien auf zweistellige Zuwachsraten programmiert zu sein. Das Ferienland wies eine unvergleichliche Erfolgsbilanz auf (1993: 10% – 1995: 11% – 1997: 15% – 1999: 17%). Doch seither muss Spanien Einbußen hinnehmen (2000: 16% – 2001: 15%). Der Wachstumsmarkt Spanien kann seine Schattenseiten nicht mehr verleugnen. Opaschowski: "In vielen Zentren des spanischen Massentourismus stimmt das Preis-Leistungsverhältnis nicht mehr. Das Niveau der Vorjahre kann vielfach nicht aufrechterhalten oder weiter gesteigert werden." Psychologische Sättigungsgrenzen stellen sich ein, wenn die Lebensqualität und der Erlebniswert der Reise durch Überfüllung vor Ort beeinträchtigt werden.
Zudem bekommt Spanien die wachsende Attraktivität insbesondere türkischer Reiseziele immer mehr zu spüren (1999: 3% – 2000: 5% – 2001: 6%). Andere klassische Reiseziele wie Italien (1999: 7% – 2000: 9% – 2001: 8%) sowie Österreich (1999: 5% – 2000: 7% – 2001: 7%) können sich dagegen weiter behaupten.
Der Fernreisemarkt bleibt – schon aus finanziellen Gründen – nur eine attraktive Ergänzung (und nicht etwa Alternative) zu mediterranen Ferienzielen. Der große Durchbruch lässt weiter auf sich warten. Lediglich die Karibik, insbesondere Kuba und die Dominikanische Republik ließen im vergangenen Jahr einen leichten Aufwärtstrend erkennen (2000: 1% – 2001: 2%). Auch USA-Reisen stabilisieren sich wieder (1990 – 1999: 2% – 2000/2001: 1% – 2002: 2%). Der Nachholbedarf ist erkennbar. USA- und Karibik-Ziele werden allerdings auch auf lange Sicht keine Konkurrenz zu den mediterranen Reisezielen der Deutschen werden können.

Krisenbewusstes Reiseverhalten
Was heißt das eigentlich?

Reisen in Krisenzeiten haben Tradition: Von der Öl-/Energiekrise 1972 über den Golfkrieg 1991 bis zur Afghanistankrise 2001. Deutsche Urlauber haben es gelernt, mit temporären oder latenten Krisen zu leben. Insofern sind die Entwicklungen des letzten jahres eher der allgemeinen konjunkturellen Situation zuzuschreiben. Im Jahr 2001 reagierten die Deutschen auf eine dreifache Weise. Sie reisten näher, weniger und kürzer:

  • Sie wählten mehr Nahziele. Im Vergleich zum Vorjahr waren deutlich mehr Inlandsreisen gefragt (2000: 31% – 2001: 34%). Es wurden weniger Reisen in europäische Nachbarländer (2000: 59% – 2001: 56%) unternommen, während außereuropäische Länder (2000: 9% – 2001: 9%) über das ganze Jahr gesehen keine spürbaren Verluste zu beklagen hatten.
  • Der Anteil der Urlaubsreisen von mehr als fünf Tagen Dauer ging leicht von 52 Prozent (2000) auf 51 Prozent (2001) zurück. Gleichzeitig stieg der Anteil der Kurzreisen von 2 bis 4 Tagen von 4 Prozent (2000) geringfügig auf 5 Prozent (2001) an.
  • Im statistischen Durchschnitt war auch ein leichter Rückgang der Durchschnittsreisedauer (2000: 14,8 Tage – 2001: 14,2 Tage) feststellbar.

Also: Weniger Fernweh, mehr Urlaub im eigenen Land. Ansonsten eher Gelassenheit, Abwarten und Standby-Tourismus.
Unfälle produzieren Staus, Krisen und Rezessionen auch. Der Nachfragestau im Reisegeschäft wird sich schon bald auflösen. Vieles deutet auf einen Frühbucher-Boom im nächsten Jahr hin. Die Erfahrung zeigt: Ein Jahr nach dem Golfkrieg stieg die Reiseintensität der Deutschen von 52 Prozent (1991) schlagartig auf 58 Prozent (1992) und bescherte so der Touristik ein neues Rekordjahr. Die Verbraucher neigen dazu, Versäumtes nachzuholen. Spätestens dann wird die Branche wieder voll durchstarten können.

Reiseziele 2002
Deutschland und Italien im Aufwind

Der touristische Krisengewinner der kommenden Saison kann der Deutschlandurlaub sein. Im vergangenen Jahr votierten 20 Prozent der Bundesbürger, die verreisen wollten, für einen Urlaub im eigenen Land. In diesem Jahr sind es 23 Prozent, was hochgerechnet einer Zuwachsrate von etwa 1,9 Millionen Urlaubsreisenden entspricht.
Seit über dreißig Jahren wird die deutsche Hitliste der Reiseziele von Spanien, Italien und Österreich angeführt. Daran wird sich auch in der kommenden Saison 2002 nichts ändern: Spanien (13%) vor Italien (9%) und Österreich (7%). Allerdings drängen Griechenland (6%) und die Türkei (6%) nach. Opaschowski: "Gewinner der kommenden Saison werden vor allem Deutschland und Italien sein, die nah und gut mit dem Auto zu erreichen sind."
Spanien bleibt vorerst unangefochten Spitzenreiter unter den Auslandsreisezielen. Allerdings lassen die Reiseabsichten auch hier im Vergleich zum Vorjahr Zurückhaltung erkennen. Anfang des Jahres 2001 bekundeten 15 Prozent der Befragten die Absicht, nach Spanien zu reisen; Ende des Jahres waren tatsächlich 15 Prozent der deutschen Urlaubsreisenden auch dort. In diesem Jahr nennen lediglich 13 Prozent dieses Wunschziel. Der seit 1999 zu beobachtende Abwärtstrend zu Lasten Spaniens kann sich in der kommenden Saison fortsetzen.

Mehr verwöhnen als erleben
Bundesbürger ändern ihre Konsumgewohnheiten

Im privaten Konsumverhalten der Bundesbürger galt in den sechziger bis neunziger Jahren der Grundsatz: Am Urlaub wird zuallerletzt gespart. Die Urlaubsreise war den Deutschen lieb und teuer. In den Konsumprioritäten rangierte die "Lebensqualität Urlaubsreise" ganz selbstverständlich vor dem "Statussymbol Auto". Deuten die Zeichen der Zeit jetzt in eine andere Richtung? Deutschland am Rande einer Rezession, Konjunkturflaute in vielen Wirtschaftsbereichen, weiter wachsende Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt verunsichertes Verbrauchervertrauen seit den Terroranschlägen in New York. Die Folgen sind sinkende Ausgabebereitschaft in den privaten Haushalten verbunden mit der Suche nach Sicherheit ("Angstsparen") und sicheren Geldanlagen.
Auch die Reisebranche sieht sich plötzlich einem verstärkten Verdrängungswettbewerb ausgesetzt, weil der finanzielle Spielraum der Deutschen deutlich kleiner wird. Die Reiseindustrie bekommt diese Entwicklung jetzt doppelt zu spüren – als Krise und Rezession. Wie wirkt sich die getrübte Stimmungslage bei den Verbrauchern im Hinblick auf den Stellenwert der Urlaubsreise aus? Findet ein Umdenken statt, bei dem die Lebensqualität zu Hause (Wohnung, Essen und Trinken, Kleidung, Auto) eine Bedeutungsaufwertung erfährt? Im Zeitvergleich der Jahre 1998 und 2001 ist feststellbar, dass Essen und Trinken (+ 3 Prozentpunkte), Wohnen (+4), Kleidung (+2) und Auto (+5) zu den Gewinnern der Konjunkturkrise zählen, während Urlaubsreisen (-3) und Ausgehen (-2) vorübergehend an Bedeutung einbüßen. Sich bei der Urlaubsreise finanziell etwas einzuschränken, fällt den Deutschen derzeit weniger schwer bzw. tut weniger weh. Dies geht aus der Repräsentativumfrage zu den Konsumprioritäten hervor, die im Dezember 2001 durchgeführt wurde.
Mehr verwöhnen als erleben: Dies ist die positive Antwort der Verbraucher in unsicheren Zeiten. Das Wohlfühlen, das von innen kommt, wird als gangbarer Weg zum Wohlbefinden gewählt. Wellness heißt das Gebot der Stunde und die Erfolgsformel für Urlaubsanbieter, die nicht mehr bloß "Reisen", "Transport" und "Unterkunft" verkaufen, sondern auch Lebensfreude und Wohlergehen auf Zeit garantieren sollen: Service, Sauberkeit und Sicherheit, Klima, Kultur und Kulinarik, Gastfreundschaft, Gemütlichkeit und Geborgenheit. Der Wunsch nach lauten Events, schnellen Erlebnistrips und grenzenlosen Abenteuern hält sich vorerst in Grenzen. Professor Opaschowski: "Das Fühl- und Spürbare wird wichtiger als das Vorzeig- und Nachweisbare. Es zeichnet sich ein Wandel vom Wohlstands- zum Wohlfühltourismus ab." So gesehen bleibt auch die Reisebranche eine Wachstumsbranche, wenn sie die Zeichen der Zeit richtig zu deuten versteht und in entsprechenden Motivations- und Marketingkampagnen regelrecht "Lust auf Urlaub" macht. Eine große Chance für das Reiseland Deutschland

Technische Daten der Befragung TA 2002. Ergebnisse der 18. Deutschen Tourismusanalyse

Anzahl und Repräsentanz der Befragten: Deutschland; 5.000 Personen ab 14 Jahren
Zeitraum der Befragung: 8. bis 23. Januar 2002
Befragungsinstitut: INRA Deutschland; Gesellschaft für Markt- und Sozialforschung mbH, Mölln
Siehe auch Verzeichnis aller Publikationen

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

Tel. 040/4151-2264
Fax 040/4151-2091
guels@zukunftsfragen.de

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