21. Deutsche Tourismusanalyse
Bilanz der vergangenen Reisesaison 2004.
Reiselust ungebrochen – aber Reisedauer sinkt rapide
Die Reisebranche erlebt das vierte Krisenjahr in Folge: Terroranschläge, Irakkrieg, SARS und Flutkatastrophe haben ihre Bremsspuren in einer erfolgsverwöhnten Wachstumsbranche hinterlassen, aber die Reiselust der Deutschen nicht nachhaltig verändern können. Trotz weltweiter Krisen, steigender Energiepreise und höherer Sozialabgaben bleibt die Reiselust der Deutschen ungebrochen. Die Bundesbürger verreisen wie bisher (2002: 53% – 2003: 52% – 2004: 53%) – aber die Urlaube werden immer kürzer (1980: 18,2 Tage – 1990: 16,3 Tage – 2000: 14,8 Tage – 2004: 12,8 Tage). Ein dramatischer Rückgang der Reisedauer im zweistelligen Bereich. Dies geht aus der 21. Tourismusanalyse des Freizeit-Forschungsinstituts der British American Tobacco hervor, in der 4.000 Bundesbürger ab 14 Jahren nach ihrem Urlaubsverhalten 2004 und ihren Reiseabsichten 2005 befragt wurden.
„Nur auf den ersten Blick bleibt die Urlaubsreise die populärste Form von Glück. In Wirklichkeit gibt es fast erdrutschartige Veränderungen“, so Prof. Dr. Horst W. Opaschowski, der Leiter des Instituts. „Im vergangenen Reisejahr hat die Reisedauer einen neuen historischen Tiefstand erreicht. Immer weniger Urlauber können sich noch eine Zwei-Wochen-Reise leisten.“ Von allen Reisenden waren 1992 81 Prozent länger als zwei Wochen unterwegs, im Jahr 2000 waren es lediglich 74 Prozent und im vergangenen Jahr nur mehr 53 Prozent. Der Trend zu immer kürzeren Reisen verstärkt sich dramatisch und macht der Ferienhotellerie immer mehr zu schaffen. Die grenzenlose Reiselust der Deutschen hat ihre finanzielle Grenze erreicht. Die Wohlstandswende spiegelt sich auch im Tourismus wider.
Die Talsohle im Tourismus ist sicher überwunden. Aber das Urlaubsbudget wird immer knapper. „So praktizieren die Deutschen weiter eine neue Lebenskunst: Sie retten die Urlaubsphilosophie von den schönsten Tagen des Jahres, indem sie einfach die Reisedauer verkürzen“, so Professor Opaschowski. „Das Schönste am Urlaub ist die Vorfreude auf den nächsten – und wenn es nur ein Kurzurlaub ist.“ Allerdings bleiben die Chancen im Urlaubsmarkt weiterhin ungleich verteilt: Landbewohner, Hauptschulabsolventen und Geringerverdienende müssen öfter zu Hause bleiben.
Zwischen Trauer und Hoffnung:
Die Auswirkungen der Flutkatastrophe.
Bundesbürger kehren zur Normalität zurück
Die Flutkatastrophe in Südostasien löste weltweit Schock und Anteilnahme aus. Die Gratwanderung zwischen Trauer und Hoffnung, Zuhausebleiben und Verreisen ist sicher nicht leicht zu gehen. Ob man wieder nach Südostasien reist oder nicht – muss jeder für sich selbst entscheiden.
Wie ist die Flutkatastrophe in Südostasien in ihren touristischen Auswirkungen für die kommende Reisesaison 2005 einzuschätzen? In einer aktuellen Repräsentativumfrage wurden 1.000 Personen vom 31. Januar bis 5. Februar 2005 nach ihrem Reiseverhalten befragt. Die Ergebnisse der Umfrage bestätigen frühere Krisen-Reaktionen. Das Erleben von Bedrohung und die persönliche Betroffenheit lassen mit der Zeit nach: Nur 1 Prozent der Bundesbürger wollen in diesem Jahr ein anderes Reiseziel als ursprünglich geplant wählen. Ebenfalls nur 1 Prozent der Befragten geben an, aufgrund der Flutkatastrophe 2005 überhaupt nicht mehr zu verreisen. Und 3 Prozent sind noch unschlüssig, aber 95 Prozent der Bundesbürger kehren zur Normalität zurück und ändern ihre Urlaubspläne nicht. Lediglich die Jugendlichen deuten mit einem geringeren Wert von 90 Prozent Zustimmung ein etwas größeres Krisenbewusstsein an.
Opaschowski: „Problemverdrängung und Problemgewöhnung stellen sich ein. Der Zeitfaktor wirkt.“ Ein Grundgesetz der Welttourismusorganisation (WTO) bewahrheitet sich: Der Tourismus erholt sich nach jeder Krise.
Pauschaltourismus im Abwärtstrend.
Marktanteilsverschiebungen durch Billigflieger
Viele Urlaubsreisende kehren zu ihren Ursprüngen wie in den fünfziger Jahren zurück und organisieren ihre Reise wieder selbst – vom Verkehrsmittel bis zur Unterkunft. Immer mehr Bundesbürger machen die Erfahrung: Dienstleistung muss man sich auch leisten können. Der Marktanteil der individuell organisierten Reisen liegt mittlerweile bei 55 Prozent:
Die Gruppe der Selbstorganisierer, die ihre Reise ohne jede Hilfe eines Reisebüros organisieren, nahm von 35% (2000) auf 46% (2004) zu.
Im gleichen Zeitraum verdoppelte sich der Anteil der Baukasten-Reisenden, die sich nur einzelne Reiseelemente wie z.B. Route oder Unterkunft oder Transport selbst zusammenstellen und dann das Reisebüro in Anspruch nehmen, von 4 auf 9 Prozent.
Professor Opaschowski: „Als neue Entwicklung zeichnet sich ab: Der Pauschaltourismus befindet sich im Abwärtstrend. Die Individualreisen kommen wieder.“ Nicht einmal jeder dritte Bundesbürger (29%) hat bei seiner letzten Urlaubsreise eine organisierte Pauschalreise mit Transport und Unterkunft bei einem Reiseveranstalter gebucht (2000: 34% – 2004: 29%).“
Für die derzeitige Rückkehr zur Individualreise sind vor allem ökonomische Gründe verantwortlich zu machen. Der moderne Reisende ist ein flexibler Tourist, der rund um die Uhr verreisen kann, an keinen Reiseveranstalter mehr gebunden ist und Reisebüro-Dienste nur dann in Anspruch nimmt, wenn sie sich lohnen oder rechnen.
Der Wandel vom Zeitdenken zum Gelddenken kann die Urlaubslandschaft in den nächsten Jahren verändern. Billigflieger müssen bald den Preis-Leistungsvergleich mit den etablierten Vollservice-Airlines nicht mehr fürchten. Deutliche Marktanteilsverschiebungen zwischen Pauschal- und Individualreisen sind die Folge.
Inlandsreiseziele 2004.
Inlandsurlaub verliert Marktanteile an Auslandsreisen
Das liebste Urlaubsland der Deutschen ist und bleibt Deutschland. Allerdings hat der Inlandsurlaub in der vergangenen Reisesaison 2004 erheblich an Attraktivität eingebüßt (2003: 38,4% – 2004: 34,3%), was sicherlich auch an der Wettersituation im Vergleich zum „Jahrhundertsommer“ im Jahr 2003 gelegen hat. Viele Stammurlauber sind zu Hause geblieben. So müssen sich die inländischen Feriengebiete 2004 mit Stagnation und Rückgängen arrangieren. Ostsee (8,2%) und Bayern (7,2%) verteidigen ihre Spitzenposition. Den dritten Rang in der Beliebtheit der inländischen Reiseziele behaupten die Reiseziele an der Nordsee (5,9%). Opaschowski: „Der Inlandstourismus verliert wieder Boden gegenüber den Auslandsreisezielen. Diese bieten mehr als Meer und Berge und können Fremde und Ferne, Alltagskontraste und südliche Sonne garantieren.“
Auslandsreiseziele 2004.
Abkehr von Spanien – Österreich und Türkei auf der Gewinnerseite
Spanien, „das“ Auslandsreiseziel der Deutschen und die wichtigste Destination für die Reiseveranstalter, muss permanent Einbußen hinnehmen. Seit Ende der neunziger Jahre hat Spanien einen spürbaren Gästeschwund verkraften müssen – von 17 Prozent (1999) über 14 Prozent (2002) auf 11 Prozent im vergangenen Jahr.
Vom Preiswettbewerb profitieren Italien (8,4%), Österreich (6,7%) und die Türkei (6,1%). Im Vergleich zum Vorjahr sind Österreich (+ 2,1 Prozentpunkte) und die Türkei (+ 2,1) die Gewinner der vergangenen Saison. Auch Skandinavien (+ 0,9), Italien (+ 0,8) und die Karibik (+ 0,7) können sich über Zuwächse freuen, weil die beiden bedeutendsten Reiseziele der Deutschen (Deutschland: – 4,0 Prozentpunkte; Spanien: – 5,1) spürbare Einbußen hinnehmen mussten.
Fernreisen bleiben für die meisten Deutschen als Urlaubsträume attraktiv, stellen in wirtschaftlich und politisch schwierigen Zeiten aber mehr eine Ausnahme dar. Professor Opaschowski: „Der Fernreisemarkt bleibt vor allem aus finanziellen Gründen nur eine attraktive Ergänzung (und nicht etwa Alternative) zu den Inlands- oder mediterranen Ferienzielen.“ Der große Durchbruch lässt weiter auf sich warten.
Am Urlaub wird immer mehr gespart.
Ein Urlaubstag darf höchstens 76 Euro kosten
Die Deutschen lassen sich den Urlaub im Durchschnitt 1.025 Euro pro Person kosten. Darin sind nicht nur die Reise- und Unterkunftskosten enthalten. Damit müssen auch alle Nebenausgaben wie z.B. Essengehen, Einkaufsbummel, Ausflüge und Trinkgelder bestritten werden.
Der Preis wird für die Auswahl eines Reiseziels immer wichtiger. Mit dem Urlaubsbudget haushalten heißt, sparsam mit Geld und Zeit umgehen können. Ein Karibikurlaub ist fast dreimal teurer (2.111 Euro) als ein Urlaub in Deutschland (747 Euro). Die große Kluft ist erklärbar: Eine Fernreise dauert einfach länger und belastet damit auch die Reisekasse mehr. Karibik- und USA-Reisen dauern im Durchschnitt 17 Tage, während Deutschlandurlauber nach 12 Tagen wieder zu Hause sind. Inlandsurlauber können derzeit in den ostdeutschen Feriengebieten am preiswertesten Urlaub machen (640 Euro), während ein Urlaub an der Nordsee (761 Euro) oder in den bayerischen Bergen (811 Euro) deutlich teurer ist.
Tourismusprognose 2005.
Mehr Aufbruchstimmung als Verunsicherung:
Deutsche wollen wieder mehr verreisen
4.000 Personen ab 14 Jahren wurden repräsentativ im gesamten Bundesgebiet nach ihren Reiseabsichten für 2005 gefragt. Das Befragungsergebnis überrascht: Es herrscht eine positive Grundstimmung vor. Ein Ende der Reiseflaute ist in Sicht. Deutlich mehr als im Vorjahr (2004: 41,8% – 2005: 45,2%) sitzen bereits auf gepackten Koffern und sind fest zur Reise entschlossen. Überraschend gering ist auch der Anteil der Unentschlossenen (2004: 32,7% – 2005: 28,9%), die nicht wissen, ob sie dieses Jahr verreisen wollen.
Offensichtlich wächst das Vertrauen in die nahe Zukunft wieder. Opaschowski: „Mehr Aufbruchstimmung als Verunsicherung ist angesagt: Die Deutschen wollen wieder mehr verreisen.“ 2005 wird nicht gleich ein Reiseboomjahr sein. Aber die Krisenstimmung ist überwunden. Und Reiselust darf man wieder zeigen, wenn man sie sich leisten kann.
Reiseziele 2005.
USA, Türkei und Skandinavien im Trend
Spanien wird seine Spitzenposition unter den ausländischen Reisezielen behaupten können, aber verstärkt gegen den Abwärtstrend ankämpfen müssen. Denn im Vergleich zum Vorjahr (12,6%) wollen 2005 noch weniger Deutsche (10,0%) nach Spanien reisen. Auch Griechenland verliert in diesem Jahr seinen Olympia-Bonus und muss sich auf einen spürbaren Gästerückgang (2004: 5,2% – 2005: 3,1%) einstellen. Nach Asien (Thailand u.a.) zieht es vorübergehend weniger Deutsche (2004: 1,2% – 2005: 0,9%). Kuba und Karibik könnten 2005 bevorzugte Ausweichziele werden. Die Karibik könnte wieder zum „Traum der Träume“ bei den Deutschen werden.
Technische Daten der Befragung TA 2005. Ergebnisse der 21. Deutschen Tourismusanalyse
Anzahl und Repräsentanz der Befragten: Deutschland, 4.000 Personen ab 14 Jahren
Zeitraum der Befragungen: 05. bis 18. Januar 2005
Blitzumfrage (N= 1.000): 31. Januar bis 03. Februar 2005
Befragungsinstitute: Ipsos Deutschland GmbH/Mölln; Institut für Demoskopie/Allensbach
B.A.T Freizeit-Forschungsinstitut GmbH
Alsterufer 4
20354 Hamburg
Telefon: 040 / 4151 2448
Fax: 040 / 4151 2091
Die Studie enthält neben den aktuellen Analysen und Prognosen zum Reiseverhalten 2004/2005 auch Darstellungen zu folgenden Ergebnissen zur Grundlagenforschung:
- Zwischen Sonnen- und Seelenbaden – Wie die Deutschen ihren Urlaub verbringen
- Urlauber schwimmen auf der Wohlfühlwelle – Fern- und Abenteuerrei-sen weniger gefragt
- Mobilitätswende – Das Auto kommt wieder
- Tourismus im Wandel
- Urlaubsformen der Zukunft
- Naturtourismus
- Wellnesstourismus
- Ferntourismus
- Themenparktourismus
- Kreuzfahrttourismus
- Eventtourismus
- Städtetourismus
- Zukunft des Reisens
- Traum- und Trendziele – Wohin wir in Zukunft reisen wollen
- Sanfter Tourismus – Die ökologische Revolution findet nicht statt
- Reiserealismus – Die heile Urlaubswelt gibt es nicht mehr
- Neue Nomaden – Die Urlaubergeneration von morgen
- Alles ist möglich – Auf Wolken schweben – unter Wasser tummeln
- Reisen im Zeitalter des Internet – Der Weg in den Urlaub führt über das Reisebüro
- Tourismus 21 – Szenarien für eine realistische Zukunft
- „Terra Touristica“ – Die Zukunftsvision.
Siehe auch Verzeichnis aller Publikationen