„Schlangestehen“: Die inszenierte Massenkultur. 

Forschung aktuell, 198

12. Juli 2007

(inkl. Grafiken wenn vorhanden)

„Schlangestehen“: Die inszenierte Massenkultur.

Museen, Musikfestivals und Open-Air-Konzerte im Trend

„Die Menschen werden in Zukunft vor Konzertkassen, Museen und Kunstausstellungen Schlange stehen wie die Nachkriegsgeneration vor Lebensmittelläden“: Diese frühe Zukunftsprognose des BAT Freizeit-Forschungsinstituts aus dem Jahr 1992 ist jetzt – fünfzehn Jahre später – in Deutschland Wirklichkeit geworden. Seit Ende Mai stehen täglich bis zu 5.000 Besucher Schlange vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Und während der Interessentenkreis für traditionelle Angebote von der Oper (1992: 14% – 2007: 8%) bis zum Ballett (1992: 14% – 2007: 5%) um die Hälfte zurückgeht, verlagert sich der Interessenschwerpunkt seit 1992 immer mehr auf spezielle Angebote der Eventkultur mit dem Charakter des Außergewöhnlichen. Dies geht aus einer aktuellen Repräsentativbefragung hervor, in der die STIFTUNG FÜR ZUKUNFTSFRAGEN von British American Tobacco 2.000 Personen ab 14 Jahren nach ihren Kulturinteressen befragt und mit den Umfrageergebnissen vor fünfzehn Jahren verglichen hat.

„Immer mehr Städte und Regionen gehen dazu über, einen eigenen Kultursommer zu kreieren, eine Art fünfte Jahreszeit für Städtetouristen und Daheimurlauber“, so Prof. Dr. Horst W. Opaschowski, der Wissenschaftliche Leiter der Stiftung. „Exklusive Sonderausstellungen in Museen und Galerien machen den Besuch zum gesellschaftlichen Ereignis. Ein ‚Muss’ für viele. ‚Man’ geht eben hin“. Die Kulturszene wird zur Eventkultur, über die die Medien bereits berichten, bevor die Veranstaltungen überhaupt stattgefunden haben.

Die Kulturlandschaft wird zum Erlebnisraum für ein breites Publikum. Der massentouristische Ansturm bleibt nicht aus. Die Hochkultur bekommt Züge von Massenkultur. Insbesondere die junge Generation wandert im Vergleich zur Gesamtbevölkerung massenhaft in die Kulturveranstaltungen mit Ereignischarakter ab. Dazu zählen vor allem Musikfestivals (38% – übrige Bevölkerung: 21%) und Open-Air-Konzerte (43% – Gesamtbevölkerung: 21%), während die 55plus-Generation nach wie vor lieber in die Oper (13%) als zum Musikfestival (11%) geht – wenn auch beim Opernbesuch mit sinkender Tendenz (1992: 16% – 2007: 13%).

Professor Opaschowski: „Kultur bekommt als Ereignis- und Unterhaltungskultur eine neue Qualität. Angebote, die den Erlebniswert vernachlässigen, keinen Gesprächsstoff liefern und keine Diskussionen auslösen, haben einen schweren Stand. Erlebniskultur zahlt sich aus und macht Subventionen langfristig zu Investitionen. Die Vorstellung von der Kultur als ‚brotlose’ Kunst wird schon bald der Vergangenheit angehören.“

Die Gewinner der Kulturszene: Museen als Trendsetter

In der Gunst um die Besucher und Sponsoren sind insbesondere die Museen in den letzten Jahren sehr erfolgreich gewesen. Sie gelten geradezu als die Gewinner der Kulturszene: Fast jeder vierte Bundesbürger (1992: 20% – 2007: 23%) zählt sich zum interessierten Besucherkreis. Gemeinsam mit anderen Ausstellungshäusern verzeichnen Museen derzeit rund 100 Millionen Besuche pro Jahr. Statt nur das Museale zu bewahren, erschließen die Museen durch die ständige Attraktivierung ihres Angebots immer breitere Bevölkerungsschichten. Dies gelingt mit Veranstaltungen wie die „Lange Nacht der Museen“ oder der MoMA-Ausstellung in Berlin. „Die Museen wollen nicht mehr nur Traditionshüter sein“, so Julia Rombach, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der BAT Stiftung und Autorin des heute im Buchhandel erscheinenden Buches „Traditionshüter oder Trendsetter? Zur Zukunft der Museen“ (Lit Verlag). „Es entsteht eine neue Generation von Museen, die Trends für den gesamten Kulturbereich setzt. Durch professionelle Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, zunehmende Besucherorientierung und neue interaktive Vermittlungsformen werden Museen immer attraktiver. Die Museumsbesucher von heute wollen nicht belehrt, sondern intelligent unterhalten werden.“

Kommunikationsfördernde und unterhaltsame Angebote gestalten den Museumsbesuch abwechslungsreich und führen die Besucher auf angenehme Weise an die Inhalte heran. Kritiker sehen in der Massenkultur und der Popularisierung der Museen die Gefahr, dass die Inhalte reduziert und simplifiziert werden. Aber um ihre gesellschaftliche Funktion wahrnehmen zu können, brauchen insbesondere die öffentlichen Häuser hohe Besucherzahlen. Rombach: „Auf Masse und Unterhaltung ausgerichtete Konzepte können kontinuierliche Kulturarbeit zwar nie ersetzen. Aber wenn es ihnen gelingt, Kultur und kultureller Bildung Aufmerksamkeit zu verschaffen und bei den Menschen Interesse an Kultur zu wecken, dann erfüllt auch die Massenkultur ihren gesellschaftlichen Auftrag.“

Trotz vieler Neuerungen ist die Museumslandschaft vom kulturpolitischen Anspruch „Kultur für alle“ aber immer noch weit entfernt: Unter den Museumsinteressierten dominieren mit großem Abstand die Höhergebildeten (Hochschulabsolventen: 40% – Gesamtbevölkerung: 23%). Nach wie vor gilt: Bildung macht Kultur. Selbst Preisvergünstigungen oder Nulltarife können den notwendigen Ausgleich von Bildungsdefiziten nicht ersetzen. Das Museumspublikum ist ein Abiturpublikum geblieben.

Das Buch

JULIA ROMBACH: „Trendsetter oder Traditionshüter? Die Zukunft der Museen.“
ist ab sofort im Buchhandel erhältlich: 224 Seiten – ISBN 978-3-8258-0669-9 (LIT Verlag Münster) – 2007 – 24,90 Euro

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

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