BAT Stiftung für Zukunftsfragen stellt Buchveröffentlichung „Deutschland 2030. Wie wir in Zukunft leben“ vor. 

Forschung aktuell, 208

26. August 2008

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BAT Stiftung für Zukunftsfragen stellt Buchveröffentlichung „Deutschland 2030. Wie wir in Zukunft leben“ vor.

Zukunftsvorsorge für Deutschland: „Packen wir’s an!“ So wollen wir 2030 leben – so werden wir 2030 leben

Ausgangssitutation heute:
Zwischen Zukunftsangst und Lebensoptimismus

Deutschland im Jahr 2008: Teures Öl und starker Euro, steigende Lebenshaltungskosten und sinkende Konsumnachfrage, Europa in der Krise und Bankenpleiten in den USA. Solche Hiobsbotschaften spiegeln sich als Konjunktursorgen in den Aktienkursen wider und lassen ein Ende des wirtschaftlichen Aufschwungs und allgemeinen Wohlstands befürchten. Trotz des sich ausbreitenden Konjunkturpessimismus in Wirtschaft und Gesellschaft bleibt der ganz persönliche Lebensoptimismus in der Bevölkerung ungebrochen. Die geradezu bleierne Zukunftsangst der letzten Jahre („The German angst“) weicht einer neuen Zukunftshoffnung. Mehr mit Hoffnungen (39%) als mit Sorgen (33%) sehen die Bundesbürger ihrer eigenen Zukunft entgegen.
Die Welt mag sich wandeln. Doch ganz persönlich richten sich die Deutschen auf eine positive Entwicklung der nahen Zukunft ein. Als großer Hoffnungsträger erweist sich dabei die Jugend. Zwei Drittel der Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren (64%) sind davon überzeugt, dass sie ihre Zukunft problemlos meistern können. Von drohender Armut wollen sie wenig wissen (21%).
„Mut zur Zukunft“ ist die konkrete Antwort der Bevölkerung auf die Frage, wie wir in zwanzig oder dreißig Jahren leben. Statt passiv oder depressiv in die Zukunft zu blicken, will die Bevölkerung über alle Generationen hinweg offensiv für eine lebenswerte Zukunft kämpfen: Die Jugend verdoppelt ihre Leistungsanstrengungen. Die Frauen kommen; die Arbeitswelt wird weiblich. „Re-Start mit 50“ heißt es für ältere Arbeitnehmer. Und drei Viertel der Bevölkerung wollen freiwillig über 65 hinaus arbeiten und ihre Rente aufstocken, statt über Altersarmut zu klagen. Dies geht aus der umfassenden Repräsentativstudie der Stiftung für Zukunftsfragen, einer Initiative von British American Tobacco, hervor, die Prof. Dr. Horst W. Opaschowski, der Autor und Wissenschaftliche Leiter der Stiftung, heute in Hamburg vorstellte.
Der auch als Buch unter dem Titel „Deutschland 2030. Wie wir in Zukunft leben“ veröffentlichte Zukunftsreport sagt einen Wertewandel mit positiver Grundrichtung voraus: Dazu zählen Hilfsbereitschaft (64%), Freundschaft (66%) und soziale Gerechtigkeit (74%). Und Geborgenheit wird für jeden zweiten Bundesbürger (49%) wieder genauso wichtig wie Freiheit (49%). Dies sind die Antworten der Bevölkerung auf die Frage, was in Zukunft wichtig und wertvoll ist. Professor Dr. Horst W. Opaschowski: „Die Bürger wünschen sich für die Zukunft ein Ende der drohenden sozialen Erosion und sind durchaus zur tatkräftigen Mithilfe bereit. Ein überaus positives Zukunftsbild, das auf gravierende soziale Defizite der vergangenen Jahre schließen lässt. Für die Zukunft zeichnet sich in Konturen eine doppelte Leistungsgesellschaft ab: einerseits eine Dienstleistungsgesellschaft, die Geld kostet, anderseits eine Hilfeleistungsgesellschaft, die Geld sparen hilft und das Zeitalter der Ichlinge bald vergessen lässt.“

Leistungsexplosion.
Jugend verdoppelt ihre Anstrengungen

Vier von zehn Bundesbürgern (43%) vertreten die Auffassung, dass die Leistungsgesellschaft die bundesdeutsche Wirklichkeit am treffendsten beschreibt. Die Leistungsgesellschaft lebt. Sie schafft erst die Voraussetzungen für eine lebenswerte Zukunft. Die Leistungsorientierung des Lebens nimmt bei der Jugend fast explosionsartig zu (1992: 32% – 2000: 41% – 2007: 56%). Für die junge Generation haben Leistung und Lebensgenuss ihren Alternativ- oder gar Konfrontationscharakter verloren. Fast erdrutschartig ist inzwischen der Anteil der Hedonisten, die „nur“ ihr Leben genießen wollen, zurückgegangen: Von 33 Prozent im Jahr 1992 über 27 Prozent im Jahr 2000 auf 10 Prozent im Jahr 2007. Lust ohne Leistung findet immer weniger Anhänger.
2030 kann die Leistungsexplosion der jungen Generation einen Höhepunkt erreichen. Über zwei Drittel (68%) werden dann ihren Lebenssinn in der Arbeitsleistung suchen – doppelt so viele wie 1986. Leistung macht wieder Spaß und schafft Sinn zugleich. Opaschowski: „Politik und Wirtschaft sollten sich rechtzeitig auf den sich ankündigenden Wertewandel in Richtung auf eine neue Gleichgewichtsethik einstellen und mehr fließende Übergänge zwischen Berufs- und Privatleben schaffen. Die junge Generation will im Leben etwas leisten und zugleich das Leben genießen. Leistungslust heißt das Lebenskonzept der jungen Generation im 21. Jahrhundert, die in ihrem Leben weder überfordert noch unterfordert werden will.“

Die Frauen kommen.
Die Arbeitswelt wird weiblich

Noch 1970 waren gerade einmal ein gutes Drittel (37%) der Erwerbstätigen in Deutschland Frauen. 2010 werden es etwa 47 Prozent sein. Und 2030 können die Männer im Erwerbsprozess erstmals zur Minderheit werden (Männer: 48% – Frauen: 52%), wenn die Qualifizierungsoffensive der Frauen weiter anhält. Denn vom Qualifikationswandel im Bildungssystem bis zum Beschäftigungswandel in der Arbeitswelt ist es nicht mehr weit: Heute sind über fünfzig Prozent der Gymnasial- und Hochschulabsolventen weiblich. Doch in den Chefetagen dominieren bei gleicher Qualifikation noch immer die Männer. In zwanzig Jahren werden aufgrund höherer Qualifikation die Frauen in den Führungspositionen ebenso erfolgreich und anerkannt sein.
„Weil immer mehr hochqualifizierte Frauen nach oben wollen und 2030 dort auch ankommen, wird die Luft für männliche Karrieren dünner. Dies wird nicht ganz konfliktfrei verlaufen“, so Professor Opaschowski. „Denn beide Geschlechter sehen sich mit einer doppelten Vereinbarkeitskrise konfrontiert: Zur Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesellt sich die Frage der Vereinbarkeit von Frauen- und Männerrollen. Rollenwechsel sind angesagt: Wer ‚spielt’ in Zukunft die Hauptrolle des Versorgers und wer die Nebenrolle des Zuverdieners? Statuskämpfe nach oben und nach unten werden zum Alltag in der Partnerschaft gehören.“ 2030 kommt die Emanzipation auch in der Arbeitswelt an.

Re-Start mit 50.
Die Wirtschaft braucht ältere Arbeitnehmer

Mit der älter werdenden Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren auch die Einstellung der Bevölkerung zu „Lebensmitte“ und „Lebensabend“ grundlegend verändert. Die offizielle Altersgrenze um 65 steht nur noch auf dem Papier: „Alt“ ist man nach Ansicht der Bevölkerung erst mit 72 Jahren. Und das neue Lebensideal der Deutschen ist nicht mehr die Jugendzeit, sondern die Lebensmitte um 40. Ein Ende des Jugendwahns zeichnet sich auch in den Betrieben ab. Die Älteren werden wieder wichtiger. Seit 2000 ist die Erwerbsquote unter den 50- bis unter 65-Jährigen von 54 auf 66 Prozent gestiegen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten über 50 erreichte nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 2007 sogar einen neuen Höchststand von 6,3 Millionen. Tendenz weiter steigend. Damit liegt Deutschland deutlich über dem EU-Durchschnitt. Mehr Ältere arbeiten nur in Schweden und Großbritannien.
Der demographische Wandel in der Gesellschaft wird in den nächsten zwanzig Jahren einen grundlegenden Beschäftigungswandel in der Arbeitswelt zur Folge haben. Dann heißt es nicht mehr: „Mit 50 zum alten Eisen“, sondern: „Re-Start mit 50!“ Die Wirtschaft braucht wieder ältere Arbeitnehmer. Vier von zehn Erwerbspersonen werden im Jahr 2030 älter als 50 Jahre alt sein. „Die 50plus-Generation bekommt ihre zweite Chance. Die Best Ager werden als unverzichtbare Mitarbeiter wieder entdeckt und sind nicht mehr nur als Kunden und Konsumenten (‚Master Consumer’) interessant.“, so der Wissenschaftliche Leiter der BAT-Stiftung.
Die Wirtschafts- und Arbeitswelt kann von der doppelten Erfahrung – der Lebens- und der Berufserfahrung der Älteren – profitieren. Gelassenheit und Beständigkeit halten wieder mehr Einzug in das Arbeitsleben. Dabei handelt es sich um bewährte Lebensgrundsätze wie z.B. Ziele beharrlich verfolgen, Tempo und Hektik relativieren, Persönliches und Professionelles miteinander verbinden sowie Fehlerursachen erkennen und aus Fehlern lernen. Jüngere lernen wieder mehr durch das Vorleben der Älteren, was sie zum Mit-, Nach- und Selbermachen anregt. Jüngere wollen natürlich auch in Zukunft ihre eigenen Erfahrungen machen und nicht einfach nur aus den Fehlern anderer lernen. Aber im Berufsleben heißt es immer öfter: Von den Älteren lernen. Und auch: Mit den Älteren lernen.

Freiwillig über 65 hinaus arbeiten.
Statt Altersarmut die Rente aufstocken

Die Einstellungen zu Rente und Altersgrenze verändern sich grundlegend. Stiftungsleiter Opaschowski: „Die gesetzliche Altersgrenze mit 65 wird von immer mehr Menschen als Zwangsrente mit Fallbeilcharakter empfunden. Die Bundesbürger wollen daher in Zukunft ihre Altersgrenze selbst bestimmen und den Übergang in den Ruhestand flexibel gestalten.“ Fast drei Viertel (73%) aller Berufstätigen in Deutschland sind heute schon bereit, freiwillig über das 65. Lebensjahr hinaus zu arbeiten, wenn sie dadurch ihre Rente aufstocken können. Dieser Wunsch nach Rentenerhöhung und Zuverdienst wird von allen Berufsgruppen geäußert – von Arbeitern (78%) etwas mehr als von Angestellten und Beamten (70%) oder Selbstständigen (71%). Die Beschäftigten wollen einerseits mehr Geld zum Leben haben, aber auch im Alter weiter gebraucht werden. Sie fordern mehr Möglichkeiten zur individuellen Lebensarbeitszeitgestaltung und weniger gesetzliche Zwangsverrentung.
Die Arbeitnehmer haben ganz klare Vorstellungen, wie Beschäftigungs- und Zuverdienstmöglichkeiten in Zukunft geregelt werden können. Jeder fünfte Arbeitnehmer (22%) ist über das 65. Lebensjahr hinaus weiter an Vollbeschäftigung interessiert – mit vollem Lohn und gleichzeitiger Erhöhung der Rente bei späterem Eintritt in das Rentenalter. Und die Hälfte aller Berufstätigen (51%) würde gerne auch im höheren Alter teilzeitbeschäftigt bleiben: Unter der Voraussetzung allerdings, dass sie unbegrenzt hinzuverdienen kann – ohne Abzüge bei ihrer Vollrente.
Die gesetzliche Rente reicht in Zukunft nicht mehr aus, um Altersarmut zu verhindern. Die politische Konsequenz ist klar: Der beste Weg zur Bekämpfung von Altersarmut ist eine möglichst lange Vollbeschäftigung, weil aus der gesetzlichen Rente allein der gewohnte Lebensstandard nicht mehr gehalten werden kann. Bei einem sinkenden Rentenniveau in den nächsten Jahren wird eine wachsende Zahl von Älteren weiter arbeiten müssen und wollen. Nur eine Minderheit (11%) lehnt jede weitere Beschäftigung über die gesetzliche Altersgrenze hinaus ab mit dem Hinweis, „gut vorgesorgt“ zu haben und „keine Not“ leiden zu müssen. Eines aber ist allen Berufstätigen gemeinsam: Sie wollen – mit oder ohne Bezahlung – bis ins hohe Alter gebraucht werden und beschäftigt sein, um etwas zu leisten oder sich mehr leisten zu können.

Lebenswandel.
Junge Generation will wieder Ehe, Kinder und Familie

Konsum statt Kind? Das Geld, das Kinder kosten, lieber selbst ausgeben? Das war einmal. In den achtziger und neunziger Jahren wollte die junge Generation im Alter bis zu 34 Jahren immer weniger von Kindern und Familiengründung wissen (1985: 58% – 1994: 53% – 1999: 52%). Jetzt ist eine Trendwende feststellbar: Nicht mehr Sport, Hobby und Urlaubsreisen stehen im Zentrum des Lebens, sondern Ehe, Kinder und Familie – mit steigender Tendenz (2003: 56% – 2008: 67%). Beständigkeit ist wieder gefragt. Irgendwann hört der Spaß von Freiheit und Unabhängigkeit auf, wenn die Sinnfrage unbeantwortet bleibt. Der Trend zur Individualisierung des Lebens hat seinen Zenit überschritten. Die Mehrheit der jungen Leute entdeckt den Wert von Verlässlichkeit wieder. Sie erkennt, dass die Sorge um die Familie und die eigenen Kinder auf Dauer mehr persönliche Lebenserfüllung gewährt, als wenn man immer nur an sich selbst denkt.
Opaschowski: „2030 wird die Familie kein Auslaufmodell sein. Und Konsum oder Kinder ist dann auch keine wirkliche Alternative mehr. Wenn sich die Einstellungsänderungen der jungen Generation weiter stabilisieren, werden vielleicht schon im Jahr 2020 drei Viertel der jungen Leute für die Gründung einer eigenen Familie votieren. Und im Jahr 2030 können es achtzig Prozent der unter 34-Jährigen sein, die sich vom Singledasein und der Kinderlosigkeit verabschieden.“
So zeichnet sich ein grundlegender Einstellungswandel ab, der sich allerdings nur langsam entwickelt und nicht von heute auf morgen demographische Veränderungen zeigen wird. Dafür sprechen vor allem die noch immer großen Vorbehalte der jungen Männer, die deutlich mehr als junge Frauen Wert auf ihre persönliche Freiheit legen (55% – junge Frauen: 37%) und weniger daran glauben, dass auch im Familienleben genügend Zeit für persönliche Interessen bleibt (39% – junge Frauen: 60%). In der Einstellung zur Familiengründung gibt es zwischen beiden Geschlechtern große Unterschiede, die wohl noch eines Zeitraums von einer Generation bedürfen, bis sie sich um 2030 spürbar annähern werden.

Soziale Konvois.
Leben in der Hilfeleistungsgesellschaft

In wirtschaftlich schwierigen Zeiten, in denen das Geld zum Leben knapp wird, bauen die Menschen verstärkt auf die ‚Freunde in der Not’ und wissen ihre Verlässlichkeit zu schätzen. Die Beziehungen zu ‚guten Freunden’ halten oft ein Leben lang und sind nicht selten intensiver als die Kontakte zur eigenen Verwandtschaft. Regelmäßige Hilfeleistungen werden bei Freunden ebenso oft erbracht wie bei eigenen Verwandten. Dies trifft insbesondere für Singlehaushalte zu, die die Freundschaftskontakte intensiver pflegen. Opaschowski: „Freunde und Nachbarn fungieren als soziale Konvois und lebenslange Wegbegleiter. So nehmen Freundschaftsdienste auf breiter Ebene zu, wozu auch das Comeback der ‚guten Nachbarn’ gehört. Die Menschen rücken enger zusammen und machen die Erfahrung des Aufeinander-Angewiesen-Seins.“
Die Sorgen und Nöte anderer belasten nicht, sondern lösen positive Gefühle des Helfen-Könnens und des Geholfen-Werdens aus. Nicht nur die Dienstleistungsgesellschaft, auch die Hilfeleistungsgesellschaft hat eine große Zukunft vor sich. Wer im Leben und vor allem im Alter nicht allein sein oder alleingelassen werden will, muss Freunde als soziale Konvois gewinnen. Dies kann eine wichtige Investition in die eigene Zukunft sein, die nachhaltig wirkt und sich auf Dauer sogar rechnet.

Gut leben statt viel haben.
Trend zum nachhaltigen Wohlstandsdenken

Eine Neubesinnung auf das Beständige findet statt. Und das ist immer weniger eine Frage des Geldes. Die Deutschen wollen lieber „glücklich“ (67%) als „reich“ (46%) sein, eine Familie (64%) und gute Freunde (64%) haben und in einer „intakten Natur“ (67%) leben. Ihr Blick richtet sich wieder mehr auf die qualitativen, also lebenswerten Aspekte des Lebens. Und das heißt: Wohlfühlen, Wohlbefinden, Wohlergehen. Es geht um das Wesentliche des Lebens. Im nur ökonomischen Wachstumsdenken der letzten Jahrzehnte war der Beständigkeitsfaktor weitgehend aus dem Blick geraten. Vor dem Hintergrund einer stetig steigenden Lebenserwartung und einer Gesellschaft des langen Lebens legen die Menschen jetzt mehr Wert auf nachhaltigen Wohlstand, der nicht nur von Konjunkturzyklen und Börsenkursen abhängig ist.
Die Lebensqualität für viele Bundesbürger wird wieder entdeckt und die Lebensstandardsteigerung hört auf, das erstrebenswerteste Ziel im Leben zu sein. Die Erkenntnis setzt sich durch: Ein intensives Naturerleben ist wohltuender und intakte soziale Beziehungen sind beglückender als die bloße Anhäufung materieller Wohlstandsgüter. Beim Nachdenken über nachhaltigen Wohlstand geht es um das Gelingen des Lebens. Und das heißt auch, die Lebensbedürfnisse der heutigen Generation befriedigen, ohne die Lebensqualität künftiger Generationen zu beeinträchtigen.

Natur. Kultur. Religion.
Die Gewinner des demographischen Wandels

In der alternden Gesellschaft verlieren die seit der Industrialisierung expansiven Lebensbereiche Arbeit/Freizeit/Konsum ihre unbestrittene Dominanz. Arbeitszentrierung, Freizeitorientierung und Konsumhaltung des Lebens werden eher die Verlierer des demographischen Wandels sein: Die Identifikation mit der Arbeit lässt nach und Konsumieren und Freizeiterlebnisse werden weniger wichtig. Prof. Opaschowski: „Für das ganz persönliche Wohlbefinden und die Bestimmung der eigenen Lebensqualität rücken immaterielle Bereiche des Lebens in den Vordergrund. Und das sind Natur, Kultur und Religion. Sie verlieren ihren Nischencharakter.“ Die Kultur führt neben dem Konsum kein Schattendasein mehr. Und die Kirchen können auf eine Bedeutungsaufwertung der Religion hoffen. Gesundheit, Natur und Religion stellen schließlich Konstanten im Leben dar. Sie werden daher auch Wohlfühlmärkte und Wachstumsmärkte der Zukunft sein.
Die gesamte Konsumszene wird in der näheren Zukunft den demographischen Wandel zu spüren bekommen. Denn eine alternde Gesellschaft führt auch zu veränderten Konsumbedürfnissen: Für ältere Generationen wird Konsumlust fast zum Fremdwort, weil Lebensqualität wichtiger wird. Fast zwei Drittel der 50plus-Generationen (62%) vertreten die Auffassung: „Das Konsumieren und Geldausgeben macht bald keinen Spaß mehr.“ Immaterielle Lebensqualitäten zählen mehr und sind auch nachhaltiger. Vorbei sind dann die Zeiten, in denen noch mit vollen Händen Geld ausgegeben werden konnte. In Zukunft ist ohnehin mehr Sparen als Verschwenden angesagt.
Professor Opaschowski: „Die Zukunft wird wieder mehr der Sinnorientierung gehören – realisiert in der Formel: Von der Flucht in die Sinne zur Suche nach dem Sinn. Die Sinnorientierung wird zur wichtigsten Ressource der Zukunft und zu einer großen Herausforderung der Wirtschaft. Denn mit jedem neuen Konsumangebot muss zugleich die Sinnfrage ‚Wofür das alles?’ beantwortet werden.“ Infolgedessen werden Zukunftsmärkte auch Sinnmärkte sein – bezogen auf Gesundheit und Natur, Kultur und Bildung. Letztlich geht es um Lebensqualität. Wertebotschaften statt Werbebotschaften heißt dann die Forderung der Verbraucher, die sich auch als eine Generation von Sinnsuchern versteht. Von Konsumverzicht will sie wenig wissen, dafür umso mehr von der Wert- und Nachhaltigkeit des Konsumerlebens.
Andererseits ist auch ein gegenläufiger Trend feststellbar: Je mehr die einen sparen, desto mehr leisten sich die anderen. Im Konsumbereich stabilisiert sich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der sich Familien und Ruheständler auf der einen, junge Erwachsene, Singles und kinderlose Paare auf der anderen Seite gegenüberstehen. Die Polarisierung im Konsumverhalten der Bürger nimmt zu. Der Anteil der Sparkonsumenten, deren Budget „gerade zur täglichen Versorgung reicht“, wächst (2000: 15% – 2008: 20%) – der Anteil der Erlebniskonsumenten, die sich weiterhin „ein schönes Leben leisten können“ (2000: 24% – 2008: 22%), aber bleibt annähernd stabil. Die Mitte bricht eher weg: Die Gruppe der „Normalverbraucher“ wird immer kleiner (2000: 45% – 2008: 33%).

Die Zukunftszuversicht dominiert.
Wandel der Zukunftseinstellungen

Die Bundesbürger schauen relativ hoffnungsvoll in ihre eigene Zukunft, vor allem die Jugend. Dies trifft gleichermaßen für Familien mit Kindern zu. „Die Familien und die junge Generation sind die größten Hoffnungsträger. Sie schauen mutig nach vorne. Das lässt für die Zukunft hoffen. Denn nachweislich wächst mit der Zukunftszuversicht auch das Potenzial an Gemeinsinn und Gemeinschaftsfähigkeit. Darauf kann die Politik setzen.“, so der BAT-Stiftungsleiter.
Heinrich Heines geflügeltes Wort „Denk’ ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“ erfährt im 21. Jahrhundert eine positive Wende. Die Begeisterung für die Fortschrittsidee erfährt eine Renaissance. Fortschrittsglaube und Zukunftshoffnung schließen sich nicht mehr gegenseitig aus. Arbeit (44%), Fortschritt (44%), und Hoffnung (39%) nennen die Deutschen beim Gedanken an die Zukunft – gefolgt von Technik (33%), Leistung (28%) und Ideen (23%). Die größten Hoffnungen in die Zukunft Deutschlands setzt die junge Generation: Arbeit (70%) und Fortschritt (54%) stellen für sie die wichtigsten Zukunftsassoziationen dar. Fortschritt heißt für sie: Weiterkommen – beruflich und privat.
Das Wunsch- und Leitbild einer „Generation V“ (Vertrauen/Verantwortung/ Verlässlichkeit) zeichnet sich für die Zukunft ab, die selbstbewusst wieder mehr Eigeninitiative entwickelt und intensive Kontakte pflegt. Die junge Generation will wissen, wie ihr Land in Zukunft aussehen „soll“. Weitsichtige Visionen sind gefragt, die eine positive Grundstimmung erzeugen und Antworten auf die Frage geben: Was bringt uns weiter? Dazu wünscht sie sich Verantwortungsvisionen, die ihr wieder mehr persönliche Verantwortung zurückgeben und sie für gemeinsame Anliegen begeistern. Opaschowski: „Die Zukunft Deutschlands gehört einer Welt der Verantwortung von Menschen – und nicht nur von Institutionen.“
Gesellschaftspolitische Zukunftsentwürfe als Sinnbildungsleistungen sind bisher Mangelware in der öffentlichen Diskussion, weil sie vordergründig nicht ökonomisch und technisch verwertbar erscheinen oder nicht zwangsläufig dem Gebot der Nützlichkeit unterliegen. In Wirklichkeit stellen sich verstärkt Sinnfragen als Fragen an die Zukunft. Zukunftsgestaltung heißt, heute danach fragen, wie wir morgen leben wollen.

Agenda 2030.
Was politisch noch zu tun ist

Die Wohlstandswende hat die Menschen im Lebensalltag erreicht: Der Lebensstandard sinkt. Die Deutschen werden ärmer. Die erreichte Lebensqualität ist infragegestellt. Die Bevölkerung meldet dringenden politischen Handlungsbedarf an. Neben der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (87%) und der Verhinderung von Aggressivität und Gewalt (58%) wird der Ruf nach einem zukunftsfähigen staatlichen Sicherungssystem immer lauter. „Ein grundlegender Stimmungswandel zeichnet sich in der Bevölkerung ab. Für ihr eigenes Wohl und Wohlbefinden wollen die Bürger schon selber sorgen. Von der Politik aber erwarten und fordern sie, dass sie die Kernaufgaben des Sozialstaates erfüllt und für die soziale Absicherung von Lebensrisiken Sorge trägt.“, so Prof. Opaschowski.
In der alternden Gesellschaft der Zukunft verändern sich die Politikprioritäten. Der Wunsch nach einer sicheren Gesundheitsvorsorge hat sich in der Bevölkerung seit dem Jahr 2000 fast verdoppelt (2000: 35% – 2008: 67%). Vergleichbare dramatische Zuwächse verzeichnen auch die Forderungen nach der Bekämpfung des Preisanstiegs (2000: 50% – 2008: 71%) und etwas nachgeordnet die Erhaltung des Lebensstandards (2000: 39% – 2008: 52%). Hinter allem steht die Angst vor dem sozialen Abstieg. Heute und in Zukunft dominieren Problem- und Themenbereiche, die in den Wohlstandzeiten der 80er und 90er Jahre noch nicht mehrheitsfähig waren.
Die öffentliche Diskussion um Altersarmut hat auch den Wunsch bei Teilen der Bevölkerung nach einer flexiblen Altersgrenze verstärkt (2000: 27% – 2008: 37%). Immer mehr Bundesbürger wollen das Ende ihres Erwerbslebens selbst bestimmen, also freiwillig früher gehen oder länger arbeiten, um den Lebensstandard auch im Alter aufrechterhalten zu können. Die Forderungen der Bundesbürger sind klar: Politik muss zur Zukunftsvorsorge werden. Dies gilt vor allem für die bisher unbeantwortete Rentenfrage. Gemeint ist nicht die sichere Rente, sondern die Sicherung des Rentenniveaus, die gut zwei Drittel der Bevölkerung (67%) als vordringlich zu lösendes Zukunftsproblem ansehen. Die Rentenfrage kann – vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung – wahlentscheidend werden. 81 Prozent der 65plus-Generation sehen heute schon eine solche Problemlösung als wichtigste Zukunftsaufgabe des Staates an.
Mit der Zunahme ungelöster sozialer Probleme werden vorübergehend ökologische Probleme in den Hintergrund gedrängt. Die Bekämpfung der Umweltverschmutzung bleibt nach wie vor wichtig, verliert aber an gesellschaftlicher Problemrelevanz. Noch Ende der achtziger Jahre rangierte bei der Bevölkerung die Ökologie deutlich vor der Ökonomie. Dem Umweltschutz wurde damals eine außerordentlich hohe Bedeutung (79%) beigemessen. Zwei Jahrzehnte später ist eine deutliche Problemverschiebung feststellbar. Ganz im Gegensatz zur öffentlichen und veröffentlichten Meinung hat die Einschätzung der Ökologieproblematik aus der Sicht der Bevölkerung einen Tiefststand erreicht (1989: 79% – 1995: 65% – 2008: 51%). Jetzt sind Renten- und Lebensstandardsicherung sowie Kriminalitätsbekämpfung nach Meinung der Bevölkerung die vordringlich zu lösenden Gesellschaftsprobleme. Die Bekämpfung der Umweltverschmutzung taucht in der Rangliste der politischen Zukunftsaufgaben erst an 13. Stelle auf – nur noch unterboten von Forderungen nach dem Verbot von Tierversuchen. Ansonsten dominieren ökonomische Interessen und soziale Fragen.
Opaschowski: „Offensichtlich hat ein Großteil der Bevölkerung den Eindruck: Die hohen Umweltstandards in Deutschland sind kaum mehr zu steigern und der umweltpolitische Handlungsbedarf ist weniger dringlich.“ Zudem fühlen sich viele Bundesbürger bei der Umweltdiskussion mehr als Betroffene und nicht so sehr als Verursacher und Verantwortliche. Zur Lösung der Probleme vertrauen sie mehr auf staatliche Reglementierungen, ja warten geradezu auf Verbote: Strafsteuer für Spritfresser, City-Maut für Autos mit schlechter CO2-Bilanz, Klimapass für Autofahrer, verschärfte Energiesparverordnungen für Hausbesitzer oder harte „Geldstrafen“ (66%) für umweltgefährdendes Verhalten.
Nach Auffassung der Bevölkerung sollen die Politiker konkrete Antworten auf „die“ Zukunftsfrage geben, was wirklich auf die Bürger zukommt. Sie wünschen sich eine Politik, die Mut zur Weitsicht beweist und dem Gemeinwohl verpflichtet bleibt – durch Ehrlichkeit und Verlässlichkeit. Nur so lässt sich in Zukunft eine drohende doppelte Vertrauenskrise abwenden, in der sich Bürger und Politiker gegenseitig misstrauen.

Deutschland 2030 kann kommen.
So wollen wir morgen leben

Nicht Ufos, Lufttaxis oder rollende Bürgersteige werden das Gesicht des Lebens in der Zukunft prägen, sondern Singles und Senioren, Baugemeinschaften und Mehrgenerationenhäuser, Helferbörsen im Stadtteil sowie Nachbarschaftstreffs im Wohnquartier. Die radikale Trennung von Arbeiten, Wohnen und Erholen wird tendenziell wieder aufgehoben. Pendler kehren zunehmend in die Stadt und Tante-Emma-Läden in die Wohnquartiere zurück, weil sich das Einkaufsverhalten in der älter werdenden Stadtgesellschaft verändert und die Menschen mehr in Wohnungsnähe als auf der grünen Wiese einkaufen wollen. Und weil es weniger Großfamilien gibt, sind auch weniger Großmärkte und Großeinkäufe erforderlich. Supermärkte und SB-Warenhäuser auf der grünen Wiese werden zunehmend von wohnungsnahen Nachbarschaftsshops verdrängt, die dann alles in einem sind: Bäcker und Lebensmittelladen, Zeitungskiosk und Postamt.
Abgesenkte Bordsteine, ebenerdige Zugänge und breite Eingangstüren erleichtern das Leben Älterer in zentral gelegenen und relativ kleinen Wohnungen – mit weniger Innenkomfort, aber mehr innerhäuslichen Dienstleistungen. Manche Quartiermanager werden Einkaufs- und Begleitdienste anbieten. Und für Baugemeinschaften gibt es Gästezimmer, Gemeinschaftsräume und Innenhöfe, die alle nutzen können. Viele Menschen werden noch bis 70 arbeiten, aber auch Hilfeleistungen auf Gegenseitigkeit anbieten und beanspruchen. Und weil sie immer länger selbstständig leben wollen, wird es nicht mehr Altersheime geben. Ganz im Gegenteil: Die Menschen wollen in Zukunft mehr ambulante Dienste als stationäre Pflege, mehr Nachbarschaftshilfe als Sozialamtshilfe und mehr Wohnen daheim als Einweisung ins Heim. In zunehmendem Maße werden sich Bau- und Hausgemeinschaften, Senioren-WGs und Mehrgenerationenhäuser ausbreiten. Das Leben von morgen wird ein Leben in der Mehrgenerationengesellschaft sein.
Resümee und Ausblick bis zum Jahr 2030: Die Bürger wollen nicht schicksalhaft abwarten, wie die weitere Zukunft wird. Ziel- und leistungsorientiert gestalten sie in einer Art „Packen-wir’s-an“-Mentalität ihre Zukunft selbst: „So wollen wir leben!“ Sie sind geradezu stolz auf Deutschland, auf das Land der Arbeit, der Leistung und des Fortschritts: Die Leistungsbereitschaft der Jugend explodiert. Die Frauen kommen mit Macht. Der Re-Start mit 50 wird Wirklichkeit, das Comeback mit 65 immer wahrscheinlicher. Und auch die Familie wird kein Auslaufmodell mehr sein, weil die Mehrheit der Bevölkerung bereit ist, die Familienbeziehungen „intensiv“ zu pflegen und vor allem Kinder wieder zu „dauerhaften“ Bindungen zu ermutigen. Der Wunsch nach Beständigkeit wächst, die Sehnsucht nach dem Sinn („Wie will ich eigentlich leben?“) auch. Und nachhaltiges Wohlstandsdenken findet immer mehr Anhänger: Gut leben statt viel haben. Zukunft ist Herkunft. Das Leben im Deutschland 2030 beginnt – jetzt. 2030 kann kommen!

Das Buch

Horst W. Opaschowski
DEUTSCHLAND 2030. WIE WIR IN ZUKUNFT LEBEN
784 Seiten/148 Grafiken/Sachregister
ist ab sofort im Buchhandel erhältlich.
ISBN 978-3-579-06991-3 Gütersloher Verlagshaus, 29,95 Euro

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

Tel. 040/4151-2264
Fax 040/4151-2091
guels@zukunftsfragen.de

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