Zeitvergleichsstudie: Medienflut fördert Kontaktarmut 

Forschung aktuell, 222

16. März 2010

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Zeitvergleichsstudie: Medienflut fördert Kontaktarmut

Die Medienentwicklung und ihre sozialen Folgen

Kurz vor der Jahrhundertwende wurde weltweit die „Generation @“ als Leitbild einer neuen Computerkultur ausgerufen. Die nächste Generation sollte ganz selbstverständlich mit und in virtuellen Welten leben. Doch der von Bill Gates stolz propagierte „Web Lifestyle“ stößt in Deutschland zunehmend auf psychische und soziale Grenzen. Die „kaum mehr überschaubare Medienflut“ produziert Infostress: „Man fühlt sich förmlich überrollt“ meint mittlerweile eine knappe Mehrheit der Bevölkerung (1998: 40% – 2010: 51%). Und Internet, das Netz der Netze, ist inzwischen zur größten persönlichen Enttäuschung der Deutschen geworden. Eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger ist zu der Überzeugung gelangt: „Die mitmenschlichen Kontakte werden dadurch seltener. Die Vereinsamung nimmt eher zu“ (1998: 41% – 2010: 59%). Dies geht aus repräsentativen Vergleichsstudien der Jahre 1998 und 2010 hervor, in denen die BAT Stiftung für Zukunftsfragen bundesweit jeweils 2.000 Personen ab 14 Jahren nach ihren Einstellungen und Erfahrungen zur Medienentwicklung befragt hat.
„Im Internetzeitalter klaffen Wunsch und Wirklichkeit immer mehr auseinander“, so Prof. Dr. Horst W. Opaschowski, der Wissenschaftliche Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen. „Neue Kontaktnetze sind oft nur einen Mausklick weit entfernt, können aber zwischenmenschliche Beziehungen immer weniger ersetzen, weil sie oberflächlich und beliebig bleiben. Mailen, Chatten und Surfen sind zwar zum digitalen Volkssport für die junge Generation geworden. Aber viele junge Leute zappen durch ihr Leben und warten auf Beständigkeit vergebens.“
Ein wachsender Teil der 14- bis 34-Jährigen vermisst zunehmend „beständige Beziehungen“ (1998: 42% – 2010: 53%). Als Internet-Surfer können sie wie Nomaden überall in der Welt, aber am Ende immer weniger zu Hause sein. Opaschowski: „Sie stehen ständig unter Strom und drohen dabei ihren Halt im Leben zu verlieren.“ Noch hält sich für sie die Tendenz zur „Vereinsamung“ in Grenzen (1998: 39% – 2010: 44%). Doch die Folgen sind absehbar, weil auf ihre Beziehungen ohne Bestand kein Verlass mehr ist. Auch die Hoffnungen auf die Erfüllung der IT-Heilsbotschaft „Die neuen Medien werden das private Leben bereichern“ haben sich für die junge Generation nicht erfüllt (1998: 42% – 2010: 39%). Und die übrige Bevölkerung glaubt schon kaum mehr daran (1998: 26% – 2010: 24%). Für Medieneuphorie ist im Leben der Deutschen immer weniger Platz.

Sinnesüberreizung: Wachsende Nervosität und Aggressivität

Fast jeder zweite Bundesbürger ist mittlerweile davon überzeugt, dass die „Sinnesüberreizung durch die Medienflut die Menschen nervöser und aggressiver macht“ (1998: 37% – 2010: 46%). „Die kulturkritische Befürchtung, wonach wir es in Zukunft mit einer reizüberfluteten Generation zu tun haben, die im Alltag zunehmend nervöser und aggressiver reagiert, kann Wirklichkeit werden“, so Prof. Dr. Opaschowski, der Leiter der Stiftung. „Hyperaktivität und Konzentrationsmangel können die Folge sein, weil die junge Mediengeneration permanent mit schnellen Schnitten sowie abrupten Szenen- und Situationswechseln aufwächst.“

„Avatar“ lebt: Zwischen Rollenspiel und Probeleben

Immer mehr junge Leute geben offen zu, dass sie im Internet selbst „eine Rolle spielen“ und „sich anders geben“ können als sie wirklich sind (1998: 29% – 2010: 49%). Auch nutzen viele den Computer als Rückzugsnische mit der Begründung, auf dieser Weise „dem Stress und der Hektik des Lebens zeitweilig zu entfliehen“ (1998: 30% – 2010: 44%). Gut ein Drittel der jungen Generation (1998: 30% – 2010: 37%) glaubt sogar, Defizite des Lebens durch die Beschäftigung mit dem Computer ausgleichen zu können. Professor Opaschowski: „Für die junge Mediengeneration ist die Computerkultur ein zweites Leben (‚Second Life’) geworden. Avatar lebt: Im Internet können sich die jungen Leute immer wieder neu erfinden. Der Wunsch kommt auf: Mehrere Leben leben!“ Dennoch glauben nur wenige (1998: 27% – 2010: 26%), dass diese Einstellung Auswirkungen auf die Werteorientierung ihres Lebens hat. Das Internet ist für sie nur eine Schau-Bühne, auf der sie spielen und gelegentlich auch probeleben können.
Die Medienflut wird in Zukunft sicher nicht aufzuhalten sein. Umso dringlicher wird daher eine Erziehung zur Medienkompetenz für Kinder und Jugendliche werden – vom persönlichen Medienkonsum nach Maß über regelmäßige Entspannungsübungen bis zu attraktiven Alternativen zum multimedialen Angebot. Doch statt über neue Spielzeug-Angebote nachzudenken, sollten sich die Eltern wieder mehr selbst ins Spiel bringen, also aktiv mitspielen und nicht nur passiv zuschauen.

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

Tel. 040/4151-2264
Fax 040/4151-2091
guels@zukunftsfragen.de

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