Fernsehen, Wegsehen, Einschlafen… 

Freizeit aktuell, 109

5. Mai 1993

(inkl. Grafiken wenn vorhanden)

Fernsehen, Wegsehen, Einschlafen…

Immer mehr TV-Zuschauer schalten innerlich ab
Deutlicher Anstieg in den letzten Jahren

Die Bundesbürger proben den sanften Fernsehboykott: Wenn in Deutschlands guten Stuben der Fernseher läuft, schauen immer weniger hin. Für fast zwei Drittel der Bevölkerung (63 %) ist das Fernsehen zur Nebensache geworden. Fernsehen ist zwar nach wie vor eine der am häufigsten genannten Freizeitbeschäftigungen, doch nur mehr 37 Prozent der Bevölkerung geben an, sich voll auf das Programm zu konzentrieren. 1991 lag dieser Wert noch bei 44 Prozent. Dies geht aus Repräsentativerhebungen des BAT Freizeit Forschungsinstituts hervor, das im Februar 1991, 1992 und 1993 jeweils 2.000 Personen ab 14 Jahren in Westdeutschland nach ihrem Fernsehverhalten befragte.

Die überwiegende Mehrheit der TV-Konsumenten wendet sich vorn Bildschirm ab und anderen Dingen zu: Es wird gelesen, gegessen, gebügelt und gebastelt, man unterhält sich oder telefoniert mit Freunden. Das Ergebnis ist alarmierend: „Fernsehen entwickelt sich zum familiären Beiprogramm in einer Mischung aus Geräuschkulisse und Bügelbackground“, so Professor Dr. Horst W. Opaschowski, der Leiter des BAT Instituts. Während das TV-Programm läuft, gehen in den meisten Haushalten immer mehr Familienmitglieder ihren persönlichen Beschäftigungen nach – so als ob es das Fernsehen nicht gäbe. Und jeder zehnte Bundesbürger gibt zu, vor dem Fernseher zeitweilig einzuschlafen.

Die TV-Verflachungsspirale droht

Nach den Umfrageergebnissen des BAT Instituts wurden in den letzten Jahren mehr Glücksspielsendungen (1991: 10 % – 1993: 17 %) und Unterhaltungsserien (1991: 36 % – 1993: 42 %) gesehen, während im gleichen Zeitraum bei Nachrichten (1991: 82 % – 1993: 74 %) und Politischen Magazinen (1991: 19 % – 1993: 12 %) keine vergleichbaren Zuwächse zu verzeichnen waren. Vor allem die jungen Leute praktizieren die Flucht vor der Information. Mittels Fernbedienung machen sie einen großen Bogen um Nachrichtensendungen: Fast zwei Drittel der 14- bis 29jährigen (63 %) haben an einem ganz normalen Fernsehabend im Februar dieses Jahres keine einzige Nachrichtensendung gesehen.

Die TV-Verflachungsspirale droht: Eingeschaltet werden Programme, die wenig Konzentration erfordern. Und solche Sendungen fördern die Ablenkung hin zu anderen Beschäftigungen. Im Ergebnis steigen die Zuschauer nicht verärgert auf die Barrikaden, sondern auf noch flachere Programme um. Es siegt die leicht nebenbei konsumierbare Unterhaltung über die Information. Die Folge: Fernsehsendungen werden sich immer ähnlicher, weil sich die TV-Sender auf der Jagd nach Einschaltquoten gegenseitig kopieren und imitieren. Niveauverlust und Verfall der Programmvielfalt können die Folge sein.

Werbung und Glücksspielsendungen „nur nebenbei“

Entsprechend groß ist die Ablenkung bei Glücksspielsendungen. Wenn die Sendungen beginnen, fangen die Frauen mit den Handarbeiten an oder widmen sich besonders intensiv der Schönheitspflege. Nur etwa ein Viertel der Zuschauer konzentrieren sich auf den Inhalt dieser Sendungen, fast drei Viertel (1991: 67 % – 1993: 73 %) aber begnügen sich mit der Geräuschkulisse. Professor Opaschowski: „Die Zuschauer schätzen die Game-Shows als willkommene Begleitung und bloße Zeitvertreiber“.

Wenn Werbung läuft, sind gar 80 Prozent der Zuschauer mit anderen Dingen beschäftigt (1991: 77 %). Dann wendet sich die Familie dem Abendessen zu oder widmet sich gemeinsamen Gesprächen. Während keiner anderen Sendung wird so viel gegessen und geredet.

TV-Hopping als stiller Protest

Früher galt der Grundsatz „Eine Sache zu einer Zeit“, daraus ist heute die Gewohnheit „Mehr tun in gleicher Zeit“ geworden. Der Freizeitkonsument kann nicht mehr lange bei einer Sache verweilen. Dies wirkt sich auch auf die Fernsehgewohnheiten aus. Wenn eine Sendung langweilig oder anstrengend wird, springt der Konsument einfach weiter – von einem Kanal zum anderen. „Hopping“ nennen das die Amerikaner.

  • Von allen Befragten, die gestern ferngesehen haben, hat jeder zweite Zuschauer (50 %) mindestens ein- bis viermal hin- und hergeschaltet.
  • Jeder neunte Zuschauer (11 %) „hoppt“ im Durchschnitt fünf- bis achtmal am Abend zwischen den Programmen hin und her.
  • Und etwa jeder zwölfte Zuschauer (8 %) kommt auf eine Hopping-Frequenz von mindestens neunmal pro Abend, in der Regel sogar noch „häufiger“. Diese Hopping-Freaks hält es im Durchschnitt nie länger als etwa 15 Minuten bei einem Sender. Unter ihnen sind die Männer doppelt so stark vertreten (11 %) als die Frauen (5 %). Und junge Leute im Alter bis zu 29 Jahren machen viermal mehr davon Gebrauch (16 %) als Rentner (4 %).

Symbol für die neue Hopping-Manie der TV-Konsumenten ist die Fernbedienung. Nur 30 Prozent der Zuschauer machen so gut wie keinen Gebrauch davon. Die Verbreitung der Hopping-Manie in den letzten Jahren ist Ausdruck der Hektik unserer Zeit. Sie läßt aber auch darauf schließen, dass Programminhalt und Programmdauer den veränderten Ansprüchen der Konsumenten erheblich hinterherhinken.

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

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