Einladung ins Paradies: Urlaubstraum und Urlaubswirklichkeit 

Der Freizeitbrief, 18

1. Juni 1982

(inkl. Grafiken wenn vorhanden)

Einladung ins Paradies: Urlaubstraum und Urlaubswirklichkeit

Wenn auch die meisten Urlauber die Kluft zwischen Traum und Wirklichkeit durchschauen, der Urlaub wird dennoch wie eine Einladung ins Paradies empfunden. In einer Psychologie des Urlaubsverhaltens hat der Hamburger Freizeitforscher Prof. Dr. Opaschowski vom BAT Freizeit-Forschungsinstitut festgestellt, daß Urlaub als eine „vom Alltag entrückte Insel der Entspannung und des Glücks“ angesehen wird.

Im Urlaub will man dem Alltag davonlaufen, man muß raus aus der gewohnten Umgebung, braucht Abwechslung und Tapetenwechsel. Allerdings gelingt dieser Ausbruch nur den wenigsten Urlaubern. Prof. Opaschowski: „Neuartiges wird kaum ausprobiert. In den Touristenzentren verlangt man nach deutschen Speisen. Nach genauem Zeitplan findet sich der Urlauber am Strand oder zum Mittagessen ein.“

Der Urlaub ändert die Lebensauffassung der Menschen nicht. Der Urlauber reist zwar um die ganze Welt, doch findet er sich selbst immer wieder, seine Schwächen, seine Stärken und die gleichen Idealvorstellungen vom Leben. Doch er kann sich dieser Vorstellung im Urlaub bewußter werden. In fremder Umgebung fällt es leichter, sich selbst zu entdecken. Besonders denjenigen, die Urlaub in Eigenregie machen. Dies tun jedoch nur wenige. Die meisten Urlauber gehen auch im Urlaub auf Nummer sicher. Abenteuer sind willkommen, Experimente jedoch nicht. Die meisten wünschen sich eine ausgeglichene Balance zwischen Sicherheit und Freiheit.

Anmerkung: Auf den folgenden Seiten finden Sie den Originaltext in voller Länge.

Reisen ohne anzukommen…

Eine Psychologie des Urlaubsverhaltens
von Horst W. Opaschowski, BAT Freizeit-Forschungsinstitut

Der Urlaub wirkt wie eine Einladung ins Paradies

In den Urlaubserwartungen und Urlaubssehnsüchten der Menschen lebt das Paradies – wie in jeder positiven Utopie auch – als Insel weiter. Der Urlaub hat Inselcharakter, wirkt wie eine vom Alltag entrückte Oase der Entspannung und des Glücks. Das macht die Attraktivität des Urlaubs aus, erklärt den wachsenden Wunsch nach einem „Mehr“ und „Meer“ an Urlaub.

Der Urlaub verspricht ein natürliches Leben

Fernab des Normalen und Alltäglichen soll sich das Urlaubsleben abspielen. In den Wunschvorstellungen dominieren antizivilisatorische Tendenzen. Bewußt und unbewußt wird die Symbiose von Mensch, Natur und Umwelt gesucht. Dazu gehören Naturelemente wie Wasser, Licht, Luft und Erde, Sonne, Sommer, Sand und Strand sowie narzißtische Urlaubsbilder von Körperlichkeit, Nacktheit und natürlicher Sexualität.

Im Urlaub will man dem Alltag davonlaufen

Nach elf Monaten Arbeit und Alltagseinerlei fällt vielen die Decke auf den Kopf. Sie können nicht mehr ruhig in ihrem Zimmer verweilen. Sie müssen raus, brauchen Abwechslung und Tapetenwechsel. Tausende Kilometer Urlaubsstraßen warten auf sie, locken mit „freier Fahrt“. Orts- und Szenenwechsel sind die Folge. Von der Arbeitsbank auf den Autositz, vom Bürosessel auf den Liegestuhl: Schon ist die Urlaubsstimmung da. Ein Leben ohne Auslauf und Ausflucht wäre kümmerlich. Der Urlaub ist wie ein Ventil, das Luftschöpfen ebenso ermöglicht wie Luftablassen. Man kann den Alltag zwar nicht vergessen, aber ihm wenigstens zeitweilig davonlaufen.

Der Alltag reist immer mit

Der Alltag holt jeden wieder ein. Im Urlaubsgepäck befinden sich Quartzuhr und deutscher Kaffee („Auch im Urlaub Kaffee wie zu Hause“). Nach genauem Zeitplan findet man sich am Strand oder zum Mitagessen ein. Urlaubsstimmung entkrampft, aber befreit nicht wirklich: Neuartiges wird kaum ausprobiert. Man fühlt sich freier, ohne davon wirklich Gebrauch zu machen. Niemand kann aus seiner Haut heraus. Auch der Urlaub hat seinen Alltag.

Im Urlaub kommt man dem Lebensideal ein Stück näher

Der Urlauber reist um die ganze Welt und findet immer nur sich selber wieder – seine Schwächen, seine Stärken und seine Idealvorstellungen vom eigenen Leben. Das eigene Ich unter idealen Bedingungen entdecken, dem eigenen Ideal ein Stück näherkommen, macht den Reiz des Reisens in fremde Umgebungen aus. Die Urlaubsreise wird zum „Schlüssel“ – sie öffnet die Tür zum eigenen Lebensideal einen Spaltbreit – weit genug, um wieder Hoffnung zu schöpfen, schmal genug, um sich nicht zu verlieren.

Auf den schönen Schein der Prospektwelt möchte niemand verzichten

Gäbe es die Urlaubswerbung nicht, müßte sie erfunden werden. Sie zaubert den schönen Schein einer glitzernden Prospektwelt, die als persönlich angenehm empfunden wird. Sie entlastet von Alltagsbelastungen, verbreitet Vorfreude, weckt Hoffnungen, aber keine Illusionen! Eine Identifizierung mit der Prospektwelt findet nicht statt. Zum Ausgleich und zur eigenen Entspannung und Zerstreuung braucht man wohl auch die Vorstellung von einer glücklichen Welt, um 11 Monate Arbeitsalltag wieder zu überstehen.

Die Kluft zwischen Klischee und Wirklichkeit wird durchschaut

Niemand läßt sich für dumm verkaufen. Man weiß, was einen erwartet. Und das Klischee ist nicht die Wirklichkeit. Die Prospektwelt ist die eine Sache, das eigene Urlaubserleben die andere. Illusionäre Glücksversprechen werden der Werbesprache nicht verübelt. Nur wenn es an die Substanz geht, reagiert der Urlauber rational und kritisch: Wenn also die Facts nicht stimmen! Der schöne Schein aber muß bleiben für die eigene Einstimmung und Motivation – wohlwissend, daß zur Kulisse auch der Zauber gehört.

Als Brücke zur Urlaubsreise erscheint das Geld

Nach dem Geld drängt, am Geld hängt doch alles. Am Urlaub wird zu allerletzt gespart. Die letzten Ersparnisse müssen dafür herhalten, denn Urlaub kostet Geld. Die „kostbarsten Wochen des Jahres“ haben ihren Preis – materiell und immateriell. Urlaubserlebnisse zahlen sich aus; sie wirken nach, manchmal ein ganzes Jahr. Deshalb läßt man sich den Spaß etwas kosten, und wenn es sein muß – „auf Pump“. Ein entgangener Urlaub wirkt auf viele wie eine verpaßte Lebenschance. Und wer kann sich dies schon leisten – vor den anderen. Also heißt es frühzeitig: „Spare und buche!“ Das Sparbuch wird zum Urlaubsscheck.

Die Urlaubswelt soll dem Gast zu Füßen liegen

Wer möchte schon auf den Pfennig gucken, und das im Urlaub? Urlaub ist eine Art zweites Leben. Hier will man auch mal über seine Verhältnisse leben und sich rund um die Uhr verwöhnen lassen. Der Service muß stimmen, die Leistung natürlich auch. Erwartet werden Perfektion und Professionalität. Der Kunde soll König sein – zumindest in den Wunschvorstellungen. Die Erwartungen sind hoch, die Enttäuschungen ebenfalls.

Im Urlaub mit Sicherheit mehr Freiheit

Im Arbeitsalltag sind die Menschen fest in ein Sicherheitssystem eingebunden. Freiheit wird auf Distanz gehalten. Der Urlaub gewährt nun plötzlich beides: Freiheit und Sicherheit. Zwischen beiden Polen besteht eine Spannung, die belebend und stimulierend wirkt. Doch die Spannung wird erträglich gehalten, wohldosiert und zeitlich begrenzt. „Rundum-Sorglos-Pakete“ der Urlaubsorganisatoren lassen noch hinreichend Freiraum für kalkuliertes Risiko. Freiheit und Abenteuer ja, aber keine Experimente. Nichts geht über Sicherheit; der Urlaub darf hier keine Ausnahme machen.

Urlaubserleben zwischen Kontaktflut und Beziehungsarmut

Die Kontaktflut inmitten glänzender Menschenleiber tut gut. Uberall die gleichen Ansammlungen von Menschen. Sie geben Geborgenheit und Nähe, Fremdartiges bleibt außen vor. Zwanglose Kontakte sind möglich. Man kann sie aufnehmen und jederzeit wieder abbrechen. Händchenhalten, Körperberührung und Zärtlichkeit bleiben rar. Beziehungen werden auf Abstand gehalten. Wer im Alltag einsam ist, bleibt es auch im Urlaub.

Der Urlaub muß schön sein, der Alltag ist hart genug

Das Wort „Urlaub“ assoziiert Leben in vollen Zügen, den Auszug aus den Versagungen des Alltags. Das Vergnügen im Urlaub erscheint so nötig wie die Leistungen in der Arbeit. Vergnügt und gut gelaunt sein wird zur ersten Urlaubspflicht. Spaß gehört dazu, Unterhaltung und Geselligkeit auch. Im Urlaub passiert was, muß was passieren. Am schönsten ist die Uberraschung, das Ereignis und das Genießen des Zufallserlebnisses. Niemand darf einem den Urlaub vermiesen, auch das Wetter nicht.

Jeder Urlaub hat sein Tief

Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von schönen Tagen. Action den ganzen Tag strengt an, bereitet Kopfschmerzen. Intensives Sonnenbaden und Feiern bis tief in die Nacht sind folgenreich. Irgendwann steckt auch die Fröhlichkeit der anderen nicht mehr an. Leere Gläser und innere Leere öden an. Urlaub in Eigenregie will gelernt und vertragen sein. Die subtilen Zwänge von Familie und Urlaubsclique auf engstem Raum und in gedrängter Zeit fordern ihren Tribut. Urlaubsstimmung und Urlaubsseligkeit werden merklich getrübt durch Urlaubsverstimmung und Urlaubsstreß.

Urlaubsmüll machen sie alle

Wo Menschen massenhaft konsumieren, lassen Abfälle nicht lange auf sich warten. Was andere tun, darf man sich auch erlauben, solange es noch ein Fortkommen zwischen Coladosen und Picknickresten gibt. „Ökologie des Urlaubs“ muß ein Fremdwort bleiben. Dafür sorgen schon Kurtaxe und bezahlte Strandreinigung. Inklusivpreis, Verschmutzung inbegriffen – wie lange noch?

Urlaub ist Reisen ohne anzukommen

Man möchte schon Land und Leute kennenlernen, falls es sich von selbst ergibt. Auch Alternativ-Urlauber sind nicht anders. Ob unter der Sonne Spaniens oder mit dem Hundeschlitten dem Nordlicht entgegen, ob Hotelbett oder Hängematte, das Urlaubsterrain ist fest in deutscher Hand. „Den Sinn mußt du wechseln, nicht den Himmelsstrich“, sagte Seneca. „Starten Sie durch“ – Sie kommen doch nie an. Denn auch am Ende der Welt ist die Welt noch nicht zu Ende: Der Urlauber ist überall und nirgends zu Hause. Jede Reise ist für ihn eine Hoffnung, im Unterwegs dem Alltag zu entfliehen. Eine Hoffnung, die mit jeder Reise noch verstärkt wird. Was bleibt, ist die nachhaltige Erinnerung, die Vorfreude auf das nächste Mal und manchmal auch nur die Beherzigung des Werbespruchs: „Sie können jetzt jeden Morgen in Nizza baden.“

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

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