Lärm, Gedränge, Pflichtbesuche: Immer mehr Bundesbürger klagen über Freizeitstreß 

Der Freizeitbrief, 63

1. November 1987

(inkl. Grafiken wenn vorhanden)

Lärm, Gedränge, Pflichtbesuche: Immer mehr Bundesbürger klagen über Freizeitstreß

Ein Wort, das in den 70er Jahren noch weitgehend unbekannt war, belastet die Deutschen immer mehr: „Freizeitstreß“. Wie aus der neuen Repräsentativ Erhebung des BAT Freizeit-Forschungsinstituts hervorgeht, ist seit 1984 die Zahl der Bundesbürger, die sich in unterschiedlichsten Freizeitsituationen gestreßt fühlen, deutlich gestiegen. So klagen z.B. drei Viertel aller Bundesbürger (73 %) darüber, daß ihnen das Menschengedränge bei Freizeitveranstaltungen zunehmend auf die Nerven geht. Noch vor drei Jahren lag dieser Anteil erst bei 65 %.

Am meisten leiden Familien mit Kindern (78 %) unter räumlicher Enge, Gedränge vieler Menschen, dem Warten und Schlangestehen. Aber auch zu Hause fühlen sie sich zunehmend unter Druck gesetzt, haben am Feierabend das Bedürfnis nach Ruhe und Entspannung, werden aber dauernd „von anderen gestört“ – vor allem von der eigenen Familie.

Einladungen – die ungeliebte Pflicht?

Im Freizeitverhalten der Deutschen hat sich seit den 50er Jahren die Zahl der Besuche und privaten Einladungen mehr als verdoppelt. Die Folge: immer mehr private Einladungen werden als „Verpflichtung“ angesehen, „der man nachkommen muß“. 60 Prozent der Deutschen fühlen sich mittlerweile als Opfer von „Pflichtbesuchen“. Vor allem die Selbständigen und freien Berufe (79 %) stöhnen unter der oft selbst auferlegten Last der Pflichtbesuche, bei denen berufliche Notwendigkeiten und private Freizeitinteressen miteinander in Kollision geraten. Selbst Familientreffen und Verwandtenbesuche werden heute in die Nähe solcher Pflichtbesuche gerückt. 59 Prozent aller Befragten sehen diesen Ereignissen keineswegs mit ungeteilter Freude entgegen.

Freizeitvergnügen contra Lärmbelästigung

Was für die einen Freizeitvergnügen ist, das stört die anderen. In den letzten drei Jahren hat das Empfinden der Bevölkerung, durch Lärm bei Sportveranstaltungen, Kirmes und Straßenfesten „belästigt“ zu werden, erheblich zugenommen – von 46 auf 55 %. Die Bundesbürger zeigen sich heute lärmempfindlicher, auch wenn objektiv die Lärmbelästigung nicht zunimmt oder im Einzelfall sogar geringer wird. Der Anstieg des Lärmstresses wird nur noch vom Zuwachs der allgemeinen Unlust am Verkehrsstau bei Wochenend- und Urlaubsreisen übertroffen – von 48 % (1984) auf 58 % (1987). Vor allem Männer (66 %) zeigen sich davon betroffen.

Nach dem Streß keine Ruhe finden

Die Bundesbürger arbeiten zwar weniger, haben dafür aber größere Schwierigkeiten, mit sich und der eigenen freien Zeit umzugehen. Zugleich empfinden sie soziale Verpflichtungen immer mehr als Belastung. 56 % der Bevölkerung betrachten bereits Geschenkeinkäufe als Streß und 54 % fühlen sich unter Druck gesetzt, wenn sie ihren persönlichen Freizeitaktivitäten nicht nachgehen können, weil sie „auf andere Rücksicht nehmen müssen“. Dieser Hang zur Individualisierung mit deutlichen Zügen von Freizeitegoismus ist besonders stark bei den 14- bis 17-jährigen Jugendlichen (54 %) ausgeprägt –  am wenigsten bei der Generation der über 60-jährigen (25 %).

Die BAT-Untersuchung zeigt zugleich die Grenzen der Individualisierung auf: vom Kontaktstreß befreit geht sich jeder dritte Bundesbürger schließlich selbst auf die Nerven, kann es andererseits aber nicht ertragen, „in völliger Stille mit sich allein zu sein“. Sie sehnen sich wieder danach, etwas tun zu müssen, wozu sie eigentlich keine Lust haben.

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

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