Trendwende im Konsumverhalten
Zurück in die 80er Jahre?
Erstmals seit Mitte der 80er Jahre zeichnet sich eine deutliche Trendwende im Konsumverhalten ab. Vor allem der Erlebnishunger stößt zunehmend an finanzielle Grenzen. Und das Konsumverhalten der Bundesbürger bleibt von der konjunkturellen Entwicklung nicht unberührt. Der Anteil der Erlebniskonsumenten, die sich ständig "schöne Dinge" kaufen konnten, die "neu auf dem Markt" waren, nahm ein Jahrzehnt lang unaufhörlich zu (1986: 26 % – 1991: 33 % – 1995: 35 %). Erstmals in diesem Jahr ist ein deutlicher Einbruch feststellbar (1997: 28 %). In Zeiten den Wohlstands stieg auch der Anteil der Konsumenten an, die es sich leisten konnten, auf "modische Kleidung" besonderen Wert zu legen (1986: 38 % – 1991: 45 % – 1995: 44 %). Auch hier ist in diesem Jahr erstmals der Abwärtstrend (1997: 41 %) deutlich spürbar. Dies geht aus repräsentativen Vergleichserhebungen des Freizeit-Forschungsinstitut der British American Tobacco hervor, in denen 2.000 Personen ab 14 Jahren nach ihren Konsumgewohnheiten befragt wurden.
Vom Ausgeben zum Verausgaben ist nur noch ein Schritt
Ein neues Zeitalter der Sparmaßnahmen hat begonnen- im privaten genauso wie im öffentlichen Bereich. Die Sehnsucht nach einem schöneren Leben bleibt erhalten, ihre Verwirklichung muß man sich auf Dauer aber auch leisten können. "Zehn Jahre lang war der Trend zum Erlebniskonsum richtungsweisend. Jetzt ist offensichtlich der Zenit des noch Bezahlbaren erreicht und teilweise sogar überschritten", so Prof. Dr. Horst W. Opaschowski, der Leiter des Instituts. "Der Einzelhandel (z.B. Kleidung, Möbel, Lebensmittel) bekommt die Einschränkungen schon lange zu spüren- bald wird die Sparwelle auch Freizeitbranchen wie Hobby, Sport und Urlaubsreisen erreichen". Am Freizeitkonsum wird traditionell zuallerletzt gespart, weil hier finanzielle Einschränkungen subjektiv am schwersten fallen: Der Erlebniswert bestimmte bisher die Höhe der Geldausgaben. Doch nun ist erstmals der Punkt erreicht, wo es vom Ausgeben zum Verausgaben nur noch ein Schritt ist.
Zehn Jahre lang ließen sich viele Bundesbürger beim Konsumieren in der Freizeit mehr von ihren Gefühlen als von ihrem Geldbeutel leiten. Sie entwickelten sich dabei zu gespaltenen Verbrauchern: Was sie beim Erlebniskonsum am Wochenende zu viel ausgaben, mußten sie während der Woche beim lebensnotwendigen Versorgungskonsum wieder einsparen. Sie beherrschten also das Einsparen genauso wie das Verschwenden. Gut ein Drittel der Deutschen gab auch unumwunden zu, daß es "in der Freizeit zu viel Geld" ausgab- mit steigender Tendenz: 1986: 28 % – 1991: 34 % – 1995: 35 %. Auch hier ist erstmals ein Meinungsumschwung feststellbar. Der Anteil der Bundesbürger, die in ihrer Freizeit gelassen und über ihre Verhältnisse leben, wird wieder kleiner (1997: 31 %).
Opaschowski: "Sinkende Realeinkommen machen den Verbrauchern bewußt, daß Bärenhunger wieder genauso wichtig ist wie Erlebnishunger." Konsumerlebnisse verlieren ihre Attraktivität nicht- aber Basisbedürfnisse wie Essen, Wohnen und Kleiden müssen erst einmal gesichert sein. Eine Erfahrung, die die Ostdeutschen schon jahrzehntelang gemacht haben. Infolgedessen können sich die Bürger in den neuen Bundesländern auch sehr viel weniger den Luxus leisten, zu viel Geld auszugeben (27 %- im Vergleich zu 33 % bei den Westdeutschen). Sie lassen sich von der Erlebnis-Inszenierung der Waren weniger blenden oder verführen.
Mehr Lebenslust als Kaufkraft: Aber die Trendwende erreicht langsam auch die Jugendlichen
Die Jugendlichen sind nach wie vor die konsumfreudigste Bevölkerungsgruppe. Deutlich häufiger als die übrige Bevölkerung geben junge Menschen bei der aktuellen Untersuchung an, sie würden "Wert auf modische Freizeitkleidung" legen (14- bis 29jährige: 63 % im Vergleich zum Durchschnitt: 41 %). Mehr als jeder zweite Jugendliche gibt auch unbefangen zu, er würde in seiner Freizeit öfters "zuviel Geld ausgeben" (56 % im Vergleich zu 31 %) und jeder fünfte erklärt sogar: "Manchmal kaufe ich wie im Rausch" (18 % im Vergleich zu 10 %). Alles, was gerade "in" ist, bleibt für Jugendliche nach wie vor begehrenswert. Von einem spürbaren Wohlstandsverzicht kann noch keine Rede sein.
Zwar haben im Vergleich zu früheren Untersuchungen auch Jugendliche ihre Ansprüche ein wenig zurückgeschraubt. Jedoch ist ihre Konsumhaltung nach wie vor als deutlich anspruchsvoller anzusehen als die des Bevölkerungsdurchschnitts. "Kaum Geld in der Tasche leben viele weiterhin über ihre Verhältnisse. Die Kinder von Madonna und MTV haben erhebliche Umstellungsprobleme", so Prof. Opaschowski. "Als Kinder des Wohlstands haben sie es verlernt bzw. es nie lernen brauchen, sich auch einmal in den schönen Dingen des Lebens einzuschränken."
Für die junge Generation sind mittlerweile Jugend-Kultur, Konsum-Kultur und Spaß-Kultur weitgehend dasselbe. Sie will sich ihre Freude am Leben und ihren Spaß am Jungsein nur sehr ungern nehmen lassen. In den letzten Jahrzehnten hat man ihr glauben gemacht, daß mehr Wohlstand und mehr Konsum auch glücklich(er) mache. Jetzt ist plötzlich Verzicht angesagt. Viele Jugendliche lösen das Problem, indem sie weiterhin mehr Kauflust als Kaufkraft demonstrieren. Aber der Anteil der Jugendlichen, die sich der aktuellen und künftigen Mangelsituation bewußt werden, nimmt langsam zu. Der schwindende Wohlstand wir dennoch für viele junge Leute zu einer ernsthaften Herausforderung werden.
Zwischen Sparkonsum und Kaufrausch: Eine neue Zwei-Klassen-Gesellschaft entsteht
Je mehr die einen sparen, desto mehr leisten sich die anderen. Die Untersuchung des Freizeit-Instituts der British American Tobacco weist nach, daß im Konsumbereich eine neue Zwei-Klassen-Gesellschaft von Sparkonsumenten und Kaufsüchtigen entsteht, in der sich Familien und Ruheständler auf der einen, junge Erwachsene, Singles und kinderlose Paare auf der anderen Seite gegenüberstehen. Nur so ist auch zu erklären, daß die Bundesliga boomt, die Kinos einen neuen Ansturm erleben und der Event-Tourismus vom Hockenheimring über die Love-Parade bis zum Michael-Jackson-Konzert keine Grenzen kennt. Jeder vierte Single im Alter von 25 bis 49 Jahren (26 %) kauft sich mitunter Konsumartikel für Hobby und Sport und muß dann feststellen, daß er "kaum Zeit hat, davon Gebrauch zu machen". Jeder fünfte 18- bis 24jährige konsumiert weiterhin nach dem Grundsatz "Ich muß immer mehr haben" (22 %). Und jedes achte kinderlose Paar gibt sogar offen zu, "manchmal wie im Rausch zu kaufen" (13 %).
Mit dem Trend zur Single-Gesellschaft sterben offensichtlich die Märkte für Erlebniskonsumenten nicht aus. Auch wenn sich die meisten Bundesbürger im privaten Vebrauch einschränken müssen, bleiben noch genügend erlebnishungrige Konsumenten übrig, von denen die Anbieter gut und manchmal sogar sehr gut leben können. Hier kündigt sich eine Entwicklung an, die in der Touristikbranche schon seit Jahren Wirklichkeit ist: Wer viel verdient und viel verreist, wird zukünftig noch mehr Geld für den Urlaub ausgeben. Wer aber knapp bei Kasse ist und nur selten verreisen kann, wird in Zukunft noch öfter zu Hause bleiben. Westliche Konsumgesellschaften müssen zunehmend mit dem Armut-Wohlstand-Paradox leben: Im gleichen Maße, wie sich Armut und Arbeitslosigkeit ausbreiten, entstehen neue Konsumwelten und expandieren die Freizeit- und Erlebnisindustrien: "panem et circenses" leben auch in Zukunft weiter.