Kathedralen des 21. Jahrhunderts 

Forschung aktuell, 143

6. Oktober 1998

(inkl. Grafiken wenn vorhanden)

Kathedralen des 21. Jahrhunderts

Neue Studie über Freizeitparks und Erlebniswelten

An der Schwelle zum 21. Jahrhundert hat ein neuer Wettlauf der Erlebniswelten begonnen. Die Abstimmung findet mit den Füßen statt: Filmkulissen weisen mehr Besucher auf als echte Ruinen. Und zu Euro Disney strömen mehr als doppelt so viele Besucher wie zum Louvre in Paris. Nur etwa jeder achte Besucher (12%) sieht in den künstlichen Freizeit- und Erlebniswelten eine "Kitsch-Inszenierung", fast viermal so vielen (47%) aber bereitet der Besuch ein echtes Vergnügen für die ganze Familie und das gemeinsame Erleben mit Freunden. Dies geht aus einer aktuellen Repräsentativumfrage des Freizeit-Forschungsinstituts der British American Tobacco hervor, in der 3.000 Personen ab 14 Jahren nach ihrer Einschätzung und Bewertung von Freizeitparks und Erlebniswelten befragt wurden.
Es wächst eine neue TV- und PC-Generation heran, die ganz selbstverständlich mit künstlichen und virtuellen Welten zu leben weiß. Jeder zweite Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren (50%) bewundert die künstlichen Attraktionen als "erlebbare Sehenswürdigkeiten" und fühlt sich in der "anregenden Atmosphäre" ausgesprochen wohl. "Die von Kulturkritik und Fachöffentlichkeit gern gestellte Frage: ‚Was wollen die Besucher eigentlich? Kultur oder Kulisse? Wirklichkeit oder Illusion?‘ ist falsch gestellt", so Institutsleiter Prof. Dr. Horst W. Opaschowski. "Die Erlebniskonsumenten von heute wollen perfekte Illusionen. Und sind auch mit Scheinwelten zufrieden, wenn sie die Wirklichkeit übertreffen." Dazu werden Erlebniswelten gezaubert, inszeniert und zelebriert. Über 20 Millionen Bundesbürger pilgern jährlich zu den neuen Kathedralen der Erlebnisindustrie.

Weltweit breiten sich Freizeitwelten als "Themenwelten" aus. Und die Planungen reichen weit über die Jahrhundertwende hinaus – vom "Millennium Dome" in London und der Mega-"Erlebnis-Stadt" (VW) in Wolfs-burg über das "Ufo" in Dortmund bis hin zum "Space Park" in Bremen. So unterschiedlich in der öffentlichen Diskussion die Urteile über künstliche Freizeit- und Erlebniswelten auch ausfallen mögen, das Votum der Bevölkerung ist relativ eindeutig: Auf einen Kritiker kommen zwei begeisterte Besucher.

Die Repräsentativumfrage des Freizeit-Forschungsinstituts der British American Tobacco weist nach: Jeder vierte Bundesbürger (25%) lobt die gelungene Ablenkung vom Alltag, die man hier wie sonst kaum irgendwo finden kann. Und etwa jeder fünfte Befragte (19%) ist von der perfekten Illusion geradezu begeistert: "Man ist verzaubert und losgelöst." Professor Opaschowski: "Die Rechnung der Bild-Ingenieure geht auf: Die gebotene Imagination ist meist beeindruckender als die Wirklichkeit. Die Besucher fühlen sich in eine Traumwelt versetzt, die bewußt nicht an die wirkliche Welt erinnert."

Andererseits sind Besucher auch Realisten. 21 Prozent der Befragten entlarven das Angebot als das, was es auch ist: "Geschäftemacherei". Den Vorwurf der totalen Kommerzialisierung machen insbesondere Befragte mit höherer Bildung (Hauptschulabsolventen: 19% – Universitätsabsol-ven-ten: 38%). Aber auch höhere Bildung hält die meisten nicht davon ab, sich in solchen Einrichtungen unterhalten zu lassen. Jeder sechste Universitätsabsolvent (17%) kritisiert zwar den Freizeitparkbesuch als eine Form "phantasieloser Freizeitgestaltung". Mehr als doppelt so viele (44%) aber finden an dem Familienvergnügen und dem gemeinsamen Spaß mit Freunden Gefallen.

Traumnoten für Traumwelten

Ob Konsumtempel oder Vergnügungsstätte, Fassadenfirlefanz, Zeittotschlagmaschine oder Trendimmobilie: Der Streit der Meinungen wirkt sich kaum auf das Urteil und die Entscheidung der Besucher aus: Traumnoten für Traumwelten sind angesagt. Open-air-Events von Michael Jackson über die Rolling Stones bis zu den drei Tenören werden mit der Traumnote "1,5" bewertet, wobei die mögliche Bewertungsskala von 1 "begeistert" bis 5 "enttäuscht" reicht. Gute Noten erhalten auch das Musical (1,6), das Großkino/Multiplex (1,7), die Erlebnisbadelandschaft (1,8) sowie der Freizeit-/Erlebnispark (1,9). Mit leichtem Abstand folgt die Bewertung der Erlebniseinkaufscenter (2,2) – von der erlebnisorientierten Einkaufspassage bis zum Urbain Entertainment Center (UEC), einer Mischung aus Erlebnishandel, Themengastronomie und besonderen Freizeitattraktionen.

Einzelne Bevölkerungsgruppen setzen ganz unterschiedliche Akzente: Großkinos werden von den 14- bis 17jährigen Jugendlichen am besten bewertet, Open-air-Events von den jungen Leuten im Alter von 18 bis 24 Jahren. Von Musicals sind kinderlose Paare am meisten begeistert. Und die Einkaufserlebniscenter werden von den Ruheständlern als abwechslungsreiche Kommunikationszentren besonders geschätzt. Professor Opaschowski: "Die neuen Erlebniswelten sind auch Fluchtburgen für Menschen, die der Langeweile und Einsamkeit zu Hause entfliehen wollen." Hier finden sie auch meist das, was in vielen Großstädten und Ballungszentren zunehmend vermißt wird: Sauberkeit, Sicherheit und Freundlichkeit des Personals.

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

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