Neue Studie des BAT Freizeit-Forschungsinstituts: Zukunftsbilanz „Freizeit 2001“
Der Überfluß – die neue Herausforderung
Genießen wir unsere Freizeit heute, denn besser kann sie nach den neuesten Erkenntnissen der Freizeitforschung kaum werden. Mut zum Blick in die Zukunft zeigt nun zum dritten Mal das BAT Freizeit-Forschungsinstitut mit der jetzt veröffentlichten Projektstudie „Freizeit 2001“, nachdem bereits die Zukunft der Arbeit und die Perspektiven des Lebens zu Beginn des nächsten Jahrtausends untersucht worden waren.
Die Bevölkerung befürchtet eine problematische Freizeitzukunft
Aus der persönlichen Sicht der Mehrheit der Bevölkerung ist die zukünftige Freizeitentwicklung mehr mit Risiken als mit Chancen verbunden. Die Hoffnungen der Bevölkerung sind auf 14 Zukunftschancen gerichtet, denen allerdings deutlich mehr Zukunftsrisiken (20) gegenüberstehen. Dies ermittelte das BAT Freizeit-Forschungsinstitut erstmals in einer „Freizeitfolgen Abschätzung“.
Die befürchteten Risiken stellen die gesellschaftspolitische Aussage „Mehr Freizeit gleich mehr Lebensqualität“ infrage. Als größte Beeinträchtigung künftiger Lebensqualität nennen 82 Prozent der Bevölkerung die zunehmende Umweltbelastung durch den Autoverkehr. Wachsende Landschaftszerstörung durch Freizeitanlagen nennen immerhin 73 Prozent. Die Gefahr der Verschuldung aufgrund des Konsumrausches sehen 75 Prozent der Befragten. Zu den Risiken rechnen ferner höhere Kriminalität (72 %), Freizeitunfälle (64 %), Freizeitstreß (62 %), Vereinsamung (51 %), Bedeutungsverlust der Ehe (56 %).
Zwischen den Generationen fällt die Zukunftsbilanz ganz unterschiedlich aus. Die jüngere Generation zeigt das größte Umweltbewußtsein und befürchtet für die Zukunft mehr Natur- und Landschaftszerstörung. Die ältere Generation hingegen weist das größere Sozialbewusstsein auf und warnt vor wachsender Isolation und Vereinsamung. „Der Überfluß wird zu einer neuen Herausforderung für uns alle“, so Prof. Dr. Horst W. Opaschowski, der Autor der Projektstudie. „Immer mehr Menschen empfinden keine Hierarchie der Lebensfreuden mehr.“
Zu den Zukunftschancen der Freizeit zählen die Bundesbürger das wachsende Naturbewußtsein (76 %), mehr Arbeitsplätze in der Freizeitindustrie (74 %), mehr Zeit für persönliche Interessen (73 %), neue Chancen für Kreativität (64 %). Die populärste Form von Glück wird auch nach dem Jahr 2000 das Reisen sein, auf das sich 70 Prozent der Befragten (Singles 89 %) freuen.
Die Mobilität überschreitet die Schmerzgrenze
Wenn mobil und immer aktiv sein zum Kennzeichen für den Freizeitmenschen der Zukunft wird, bedeutet dies auch Massenverkehr. Das BAT Institut erwartet, dass nach dem Jahr 2000 etwa ein Drittel der Bevölkerung ständig irgendwo auf Kurzurlaub oder Wochenendfahrten unterwegs ist. Überfüllte Straßen, Städte, Staus und Umweltbelastung führen zu einem Akzeptanzproblem für das Autofahren. Das bereits einsetzende Umdenken zum umwelt- und sozialverträglicheren Automobil und Verkehr insgesamt wirkt sich aus. Einschränkungen und persönliche Opfer sind zwingend, wenn die Freizeit eines nahen Tages nicht nur in künstlichen Freizeitoasen und nachgestellten Naturlandschaften vor den Toren der Städte stattfinden soll. Das Auto als Freizeit- und Urlaubsmobil steht auf dem Spiel; autofreie Freizeit- und Feriengebiete werden immer dringlicher.
Massenfreizeit beherrscht die Szene
Das Zeitalter der Massenfreizeit wird spätestens im nächsten Jahrzehnt zur Wirklichkeit. Eine neue Dimension der Überfüllung wird die Szene beherrschen: Die Städte sind dann überfüllt mit Menschen, die Straßen mit Autos, die Hotels mit Gästen, die Züge mit Reisenden, es gibt zu viele Passanten auf der Straße, Theater und Kinos wimmeln vor Zuschauern. Es wird immer schwieriger werden, in der Freizeit einen Platz zu finden. Freizeitvergnügungen, die früher nur wenigen vorbehalten oder die Ausnahme für besondere Anlässe waren, werden morgen für fast alle zugänglich sein. Die Folge: Der Freizeitmensch wird sich zum „Warte-Profi“ entwickeln müssen.
Konsumieren um jeden Preis
Nahezu rauschhafte Züge nimmt nach Ansicht der Freizeitforscher der Konsum an. Steigender Lebensstandard ermöglicht es immer mehr Bevölkerungsgruppen, über die Grundbedürfnisse hinaus einzukaufen und zu genießen. Unterschiede zwischen Konsum- und Lebensstilen verwischen sich, dafür entstehen individualistische Freizeitwelten.
So entwickelt sich Freizeit zunehmend zur Konsumzeit. Entsprechend der Devise „Out ist in“ nimmt die Zahl der Bundesbürger, die Einkaufsbummel zu ihren regelmäßigen Freizeitbeschäftigungen zählen, um etwa die Hälfte zu. Die Schattenseite: Die neuen Erlebniskonsumenten leben über ihre Verhältnisse, bezahlen fast nur noch mit Plastikkarten und machen Schulden. Doch sie haben kein schlechtes Gewissen dabei, denn auch Shopping ist eine Fluchtburg gegen Langeweile und Einsamkeit. Und das wird als allemal schlimmer empfunden.
Die Kauflust wird zur Langeweileverhinderung, zum Ersatz für ein gutes Lebensgefühl. Beispielsweise ein Fünftel aller berufstätigen Frauen im Alter bis zu 34 Jahren (21 %) gibt mittlerweile offen zu: „Manchmal kaufe ich wie im Rausch“. Die Neigung zu Impuls- und Schnellkäufen nimmt zu. „Kaufen wie im Rausch“, so Professor Opaschowski, „heißt, erst dann Ruhe geben, wenn eine ganz bestimmte Sache gefunden und erworben wurde – unabhängig davon, ob man sie eigentlich braucht oder sich leisten kann“.
Flucht vor Langeweile: „Thrilling“ und Abenteuerlust
Für die Zukunft der Freizeit zeichnet die BAT Studie alles andere als ein rosiges Bild. Es ist der Freizeitmensch im Wohlstand, der verlernt, sich zu freuen, der sich langweilt, „süchtig nach Abenteuern“ oder aggressiv und gewalttätig wird. „Thrilling“ heißt das neue Freizeitphänomen: Nervenkitzel, Angstlust, eine Mischung aus aufregendem Erlebnis und Risikobereitschaft, verschaffen dem überdrüssigen Freizeitmenschen ein neues Selbstwertgefühl. Gewissermaßen als Ersatz für den früher üblichen Kampf um das zum Leben Notwendige. Die ersten Anzeichen hierfür finden sich heute schon, denkt man an Hooligans, Autoraser oder Bungee-Jumper.
Die Suche nach Erlebnissteigerungen bestimmt unsere Freizeit zukünftig in immer stärkerem Maße. Die aus Überfluß stammenden Überdrusssyndrome machen erfinderisch. Das gilt vor allem für die jüngere Generation, die den zunehmenden Mangel an echten zwischenmenschlichen Beziehungen und das Fehlen von bedeutungsvollen Zielen für ein Leben in freier Zeit beklagt.
Die ständige Bedrohung durch Langeweile verstärkt das Raffinement, das Ausüben extremer Sportarten, die Sucht nach Spaß, aber auch nach Strapazen, nach Ablenken um fast jeden Preis. Jeder dritte Bundesbürger fühlt sich heute schon gestreßt, wenn er „in völliger Stille mit sich allein“ sein muß. Die Unfähigkeit, mit sich und dem arbeitsfreien Teil des Lebens umgehen zu können, wird zu einem der Hauptprobleme des nächsten Jahrzehnts führen.
Zukunftsperspektive: „Leben statt Lifestyle“
Ausgehend von der Wahrscheinlichkeit, daß es auch in Zukunft Arbeitszeitverkürzungen gibt und damit „der Arm der Freizeit ständig länger“ wird, folgern die Hamburger Freizeitforscher, daß immer mehr Freizeitelemente in fast alle Bereiche des täglichen Lebens eindringen. Die Grenzen zwischen Freizeit und Nichtfreizeit werden fließender, die „prägende Kraft der Arbeit geringer“. Arbeit werden die Menschen nicht mehr automatisch als Zwang empfinden und Freizeit nicht einfach mit Freiheit gleichsetzen. Doch zunehmend stellt sich die Frage, wo führt das Mehr an Freizeit am Ende hin.
Vielleicht werden wir im neuen Jahrtausend wehmütig auf die gute alte Freizeit der 80er und 90er Jahre zurückblicken. Wenn wir unsere Lebensweise beibehalten und uns nicht umorientieren, ist das vorausgesagte Zukunftsszenario der Freizeit wahrscheinlich unausweichlich.
Die Hoffnung allerdings liegt in einem Kurswechsel zu einer sozial- und umweltverträglicheren Freizeitentwicklung. Dies ist auch ein Thema für die Politiker, die sich hiermit bisher noch kaum beschäftigt haben. Die BAT Projektstudie zeigt hier erste Leitlinien auf. Dazu gehören attraktive Alternativen zum Konsum oder Re-Investierung der gewonnenen Zeit in soziale Aufgaben: „Leben statt Lifestyle“ als moralischer Wertewandel zu neuem Verantwortungsgefühl.
Am Übergang in ein neues Jahrtausend, das auch ein Zeitalter der Massenfreizeit sein wird, müssen wir uns eine Welt schaffen, in der wir gerne leben wollen, in der wir nicht nur mehr Zeit zum Leben, sondern vor allem mehr Freude am Leben haben.